06/10/2025 | Press release | Distributed by Public on 06/11/2025 12:22
Bundeskanzler Merz und der niederländische Ministerpräsident Schoof wollen sich für eine starke EU vor allem in den Bereichen Migration und Verteidigung einsetzen.
Foto: Bundesregierung / Marvin Ibo Güngör
Deutschland und die Niederlande arbeiten als "engste Partner" gemeinsam daran, dass Europa weiterhin "ein starker, verlässlicher Partner im Einsatz für Freiheit, Frieden und Wohlstand diesseits und jenseits des Atlantiks" ist. Das sagte Bundeskanzler Friedrich Merz beim Antrittsbesuch des niederländischen Ministerpräsidenten Dick Schoofin Berlin.
Merz hob hervor, wie wichtig die Beziehungen zu den Niederlanden für Deutschland sind - sie seien mit ihrer starken Wirtschaft Deutschlands drittgrößter Handelspartner.
(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung.)
Bundeskanzler Friedrich Merz:
Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Dick Schoof, herzlich willkommen in Berlin! Ich danke dir sehr herzlich, dass du meine Einladung angenommen hast, in sehr bewegten Zeiten nach Berlin zu kommen. Wir haben über viele Themen zu sprechen gehabt.
Aber bevor ich auf unser Gespräch eingehe, meine Damen und Herren, möchte ich zunächst doch auf die Nachrichten eingehen, die uns seit dem späten Vormittag aus Österreich, aus Graz, erreichen. Wir sind zutiefst erschüttert über diese Nachrichten, dass junge Menschen so jäh aus dem Leben gerissen worden sind, offensichtlich durch eine Amoktat eines früheren Schülers der Schule in Graz. Ich habe dem österreichischen Bundeskanzler bereits kondoliert und möchte dies auch an dieser Stelle tun. Wir teilen den Schmerz und die Trauer der Angehörigen. Ihnen gehört unser ganzes Mitgefühl. Ich wünsche den Verletzten eine schnelle Genesung. Wir hoffen, dass die Angehörigen der Opfer in dieser Stunde Trost im Kreis ihrer Familien und ihrer Freunde finden, und ich möchte ganz ausdrücklich namens der Bundesregierung sagen, dass ganz Deutschland mit unserem Nachbarn Österreich in dieser schrecklichen Stunde trauert.
Meine Damen und Herren, wir haben einen Gast zu Besuch, einen Nachbarn, mit dem wir seit Jahrzehnten eine gute, freundschaftliche und vollkommen störungslose Nachbarschaft pflegen. Wenn es überhaupt einmal Diskussionen, Streit gibt, dann um den Fußball! Aber wir haben doch viele Dinge gemeinsam. Uns verbindet sehr viel miteinander. Wir sind in der Europapolitik engste Partner. Die Niederlande sind mit ihrer sehr starken Wirtschaft für Deutschland der drittgrößte Handelspartner. Für mein Bundesland Nordrhein-Westfalen sind die Niederlande sogar der größte Handelspartner, und die Nordrhein-Westfalen und die Niederländer haben gewachsene und sehr gute Beziehungen, auch auf dieser Ebene.
Unsere Streitkräfte kooperieren sehr eng miteinander. Sie kooperieren nicht nur, sie sind eng integriert. Die holländischen Landstreitkräfte sind vollständig im Deutsch-Niederländischen Corps mit der Kommandozentrale in Münster integriert.
Wir werden in zwei Wochen zusammen auf dem NATO-Gipfel in Den Haag sein. Wir werden alles tun, damit dieser NATO-Gipfel ein Erfolg wird. Wir wollen den europäischen Pfeiler der NATO gemeinsam stärken. Deutschland wird dazu seinen Beitrag leisten, und ich freue mich, dass die Diskussion auch mit unseren Nachbarn in Europa in diese Richtung geht; denn wir alle wollen ein klares Zeichen senden, insbesondere an Russland. Dies ist ein Zeichen der Stärke und der Abschreckung. Es ist leider die einzige Sprache, die Moskau in diesen Wochen und Monaten versteht.
Wir senden damit auch ein Zeichen nach Washington. Europa ist ein starker, verlässlicher Partner im Einsatz für Freiheit, Frieden und Wohlstand. Das ist diesseits und jenseits des Atlantiks unsere Botschaft, die auch gehört wird. Das - das will ich im Übrigen noch einmal sagen - war auch mein Eindruck aus dem Gespräch mit Präsident Trump in der letzten Woche bei meinem Besuch im Weißen Haus.
Wie notwendig diese Zusammenarbeit ist, sehen wir an den Angriffen der letzten Stunden. Die jüngsten schweren russischen Angriffe aufKyjiwund andere Städte sind wieder einmal Angriffe auf die Zivilbevölkerung, erneut schwerste Kriegsverbrechen. Keine militärischen Ziele, sondern Terror gegen die Zivilbevölkerung! Russland hat mit zahlreichen Drohnen und Marschflugkörpern gezielt und rücksichtslos eben die Zivilbevölkerung attackiert. Das war alles andere als eine verhältnismäßige Antwort auf die sehr präzisen ukrainischen Schläge gegen russische Militärflughäfen und Infrastruktur in der letzten Woche. Russland wollte tatsächlich ein Blutbad anrichten. Dass das nur sehr eingeschränkt gelungen ist, ist allein der wirkungsvollen ukrainischen Verteidigung zu verdanken.
Es zeigt sich einmal mehr: Russland eskaliert, statt zu verhandeln. Deshalb wird die Bundesregierung weiter mit den Partnern daran arbeiten, den Sanktionsdruck auf Russland zu erhöhen. Hilfe für Kyjiw, Druck auf Moskau - beides braucht es jetzt, um den notwendigen Druck zu entfalten, damit echte Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Gang kommen können.
Wir müssen aber nicht nur militärisch stark sein, wir wollen auch unseren Binnenmarkt stärken. Wir wollen fit sein im Europäischen Binnenmarkt. Wir wollen gemeinsam Europa weiter wettbewerbsfähig machen. Beides ist für uns untrennbar mit einer stabilen Weltlage verbunden.
Uns verbindet zwischen den Niederlanden und Deutschland ein europäisches gemeinsames Interesse daran, stark und eigenständig zu sein. Deshalb ist es jetzt wichtig, Europa zu modernisieren. Wir wollen unnötige Kosten reduzieren. Wir wollen die Bürokratie zurückbauen. Unsere Unternehmen brauchen spürbare Vereinfachungen. Bestes Beispiel dafür ist diese sogenannte Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie, CSDDD. Schon der Titel, meine Damen und Herren, ist ein bürokratisches Ungetüm.
Gemeinsam wollen wir uns für eine gemeinsame und ehrgeizige Handelsagenda einsetzen. Wir haben über das MERCOSUR-Abkommen gesprochen und versuchen es nun auch zügig zu verabschieden. Ich weiß, es gibt in einigen Mitgliedstaaten - auch in den Niederlanden - Diskussionen, aber wir sind uns im Grundsatz einig: Wir brauchen mehr Abkommen für freien Handel in der Welt, und wir brauchen diese Abkommen als "EU only", das heißt, als wirkliche Handelsabkommen, die dann auch nur in den europäischen Institutionen bis hin zum Europäischen Parlament verabschiedet und ratifiziert werden müssen.
Wir brauchen keinen Handelskonflikt zwischen Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika. Das habe ich in der letzten Woche auch mit Präsident Trumpso besprochen. Am Ende würden beide Seiten als Verlierer vom Platz gehen. Deshalb ist es gut, dass die Europäische Kommission die Dinge nun vorantreibt. Was wir von Berlin aus tun können, um eine faire Einigung zu befördern, wollen wir gerne beitragen. Das ist gut für Amerika, und das ist auch gut für Deutschland.
Wir haben heute auch über die Stärkung unserer Mikroelektronikstandorte gesprochen. Das ist entscheidend für zuverlässige Lieferketten. Es ist wichtig für unsere Wettbewerbsfähigkeit, unsere technologische Souveränität und unsere Resilienz. Auch für die sichere Versorgung mit Halbleitern gilt: Wir brauchen in der Europäischen Union ein koordiniertes Vorgehen. Die Niederlande und Deutschland sind hierzu bereit.
Wir haben heute schließlich sehr ernsthaft über das Thema irreguläre Migration diskutiert. Wie dringend es ist, dass wir überzeugende Antworten finden, haben die jüngsten politischen Ereignisse in den Niederlanden gezeigt. Wir wollen jetzt eine strenge Begrenzung der irregulären Migration und die zügige Umsetzung der neuen EU-Asylregeln. Das wollen wir gemeinsam schaffen.
Deswegen noch einmal, lieber Dick Schoof, ganz herzlichen Dank für dein Kommen, für deinen Besuch. Auf weiter gute Zusammenarbeit zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland! Ich freue mich sehr, dass du heute mein Gast hier in Berlin bist.
Ministerpräsident Dick Schoof:
Danke! - Ich möchte dem Bundeskanzler Friedrich Merz herzlich für diese Einladung danken.
Ich möchte mich auch zu der fürchterlichen Tragödie in Graz äußern und schließe mich gerne den Worten des Bundeskanzlers an. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen - das habe ich heute auch meinem Kollegen in Österreich mitgeteilt.
Unser heutiges Treffen ist meiner Ansicht nach bezeichnend für das enge Band, das seit Jahrzehnten zwischen unseren Ländern besteht. Die Kontakte sind in verschiedenster Hinsicht interessiert und lebendig. Dafür gibt es natürlich einige Beispiele.
Eines dieser Beispiele sind die florierenden Handelsbeziehungen zwischen den Niederlanden und Deutschland. Deutschland ist das wichtigste Exportland für die Niederlande. 165 Milliarden Euro an Gütern und Diensten gehen jedes Jahr nach Deutschland, und auch der Export aus Deutschland, der ein jährliches Volumen von 118 Milliarden Euro hat, ist für die Niederlande wichtig. Wir sind exportorientierte Wirtschaften und arbeiten gemeinsam an der Vermeidung von Handelstarifen.
Niederlande, Belgien und das deutsche Nordrhein-Westfalen arbeiten eng zusammen, um das Einstein-Teleskop in der Euregio Maas-Rhein aufzubauen. Es ist wichtig, dass es für dieses für Forschung und Innovation vielversprechende Projekt so viel Interesse gibt.
Es ist 30 Jahre her, dass das I. Deutsch-Niederländische Corpsgegründet wurde - eine wirklich tolle Zusammenarbeit, ein Beispiel des Vertrauens und der engen Verbundenheit. Diese Zusammenarbeit und Verbundenheit sind angesichts der sich stark verändernden Welt um uns herum extrem wichtig. Wir müssen wirklich alles daransetzen - und das werden wir auch tun -, unseren Frieden zu sichern und unsere Sicherheit zu gewährleisten. Das bedeutet für die Niederlande zunächst einmal, dass wir die Ukraine weiterhin unterstützen, sodass sie eine starke Position erhält. Ich möchte Herrn Bundeskanzler Merz in diesem Zusammenhang auch ein herzliches Dankeschön für seine Führungsrolle aussprechen.
Zweitens müssen wir mehr für unsere eigene Sicherheit leisten. Wir müssen die Dringlichkeit der Erhöhung unserer militärischen Schlagkraft in ganz Europa durchsetzen. Diese Dringlichkeit wird auch überall gefühlt. Wir müssen ein starker europäischer Pfeiler innerhalb der NATO-Allianz sein. In Vorbereitung auf den NATO-Gipfel führen wir intensive Gespräche über die Frage, was bei den neuen Capability-Zielen nötig ist. In Den Haaghoffen wir auf wichtige und historische Absprachen bezüglich der Erreichung dieser Ziele. Die Niederlande als Gastland werden sich weiterhin und unermüdlich dafür einsetzen, dass entsprechende Beschlüsse gefasst werden, die von allen Bundes- und Allianzgenossen unterstützt werden; denn Einheit bleibt der Grundstein unserer Allianz.
Danach werden wir auch im Europäischen Rat darüber sprechen, wie wir als EU weiterhin eine Vorreiterrolle in der Verteidigung einnehmen können. Für die Niederlande ist es wichtig, dass wir uns für eine Zusammenarbeit in der EU und mit den Institutionen der EU einsetzen, und das alles für eine starke und finanziell gesunde Erweiterung unserer Schlagkraft.
Deutschland und die Niederlande arbeiten auch in anderen Bereichen eng zusammen, so auch im Bereich der Migration. Das niederländische Kabinett, die niederländische Regierung hat einige Maßnahmen ergriffen, um mehr Kontrolle über die Migration zu erhalten. Wir glauben, dass wir auch in der EU weitere Schritte setzen müssen. Dafür werden wir uns in der nächsten Zeit weiter einsetzen. Die weitere Verbesserung der Rückkehr und die Verstärkung der europäischen Außengrenzen sind für uns wichtig. Partnerschaften mit Drittländern sind dabei ausschlaggebend. Auch die weitere Suche nach innovativen Möglichkeiten bleibt für uns wichtig.
Zum Schluss: Ich habe einige Beispiele für die gute intensive Zusammenarbeit gegeben. Das gute Band zwischen unseren Ländern bedarf keiner weiteren Worte; es besteht einfach jetzt und in der Zukunft. Deswegen vielen Dank, dass wir heute miteinander sprechen konnten!
Frage: Herr Bundeskanzler, haben Sie gerade auch über das Thema Grenzkontrollen gesprochen? Werden Sie in der Zukunft enger mit den Niederlanden zusammenarbeiten, wenn es um dieses Thema geht?
Bundeskanzler Friedrich Merz: Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Frage; denn genau darüber haben wir gesprochen. Wir haben verabredet, dass wir alle Bemühungen um eine verbesserte europäische Regelung des Migrationsproblems miteinander teilen und dass wir sie auch gegenseitig unterstützen. Wir sind beide überzeugte Anhänger des europäischen Binnenmarktes. Wir wissen, dass Grenzkontrollen immer nur eine Lösung für einige Zeit sein können. Wir wollen das Problem an der europäischen Außengrenze gemeinsam lösen.
Ich werde nicht müde zu sagen: Auch wenn Deutschland keine europäischen Außengrenzen hat, so sind die europäischen Außengrenzen auch unsere europäischen Außengrenzen. Deswegen bemühen wir uns zusammen mit anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union - ich will hier beispielhaft Dänemark, die Niederlande und Italien nennen, die ja auch entsprechende Initiativen ergriffen haben - um eine gemeinsame europäische Lösung. Ich habe - das darf ich, glaube ich, sagen - auch dankbar entgegengenommen, dass es im deutsch-niederländischen Grenzverkehr durch die zusätzlichen Kontrollen, die wir zurzeit durchführen, um illegale Migration zu unterbinden, zurzeit keine nennenswerten Probleme zwischen unseren beiden Ländern gibt. Ich begrüße das ausdrücklich.
Ministerpräsident Dick Schoof: Vielen Dank. - Ich kann mich da kurz anschließen. Nichts von dem, was der Bundeskanzler gerade gesagt hat, möchte ich auch nur irgendwie bestreiten; denn wir arbeiten tatsächlich intensiv und in guter Abstimmung zusammen. Wir wollen tatsächlich im europäischen Kontext die Migration unter Kontrolle bekommen. Deswegen arbeiten wir eng mit einigen anderen Ländern zusammen - Sie werden sicherlich davon gehört haben -, Dänemark und Italien wurden schon genannt.
Wir haben schon darüber gesprochen, dass wir die Initiative, die wir mit diesen drei Ländern bei europäischen Gipfeln bereits einige Male durchgeführt haben, fortsetzen wollen. Darauf können wir bauen, weil es letztendlich um die gemeinsame Vorgehensweise an den Grenzen geht. Das ist bei dem gesamten Migrationsthema extrem wichtig - neben den nationalen Gesetzen, die wir auch in den Niederlanden im Parlament schon vorliegen haben -, um die Migration unter Kontrolle zu bekommen.
Das gilt auch für die Grenzkontrollen. Wir haben in der letzten Zeit eine gute Abstimmung darüber gehabt. Heute haben wir aus gegebenem Grund kurz darüber gesprochen, da Menschen in der Umgebung von Ter Apel selber Grenzkontrollen durchführen. Demonstrieren ist erlaubt - das hat auch unser Inlandsminister gesagt -, das ist ganz klar. Aber dass sich alle an das Gesetz halten müssen, ist auch klar.
Frage: Herr Ministerpräsident, eine Frage an Sie: Sie haben eine rechtspopulistische Partei als Teil Ihrer Koalition gehabt, die jetzt zerbrochen ist. Würden Sie aufgrund Ihrer Erfahrung sagen, dass die Niederlande jetzt ein Vorbild oder ein abschreckendes Beispiel für Deutschland sind? Es geht ja immer um die Frage, wie man rechtspopulistische Parteien domestiziert oder in einen politischen Prozess integriert. Und sind Sie dafür, dass man sich bei der Zurückweisung von Asylbewerbern auf Artikel 72 des EU-Vertrages beruft?
Herr Bundeskanzler, an Sie eine kurze Nachfrage: Fürchten Sie eigentlich, dass es in Deutschland auch sogenannte Bürgerwehren geben könnte, die an der Grenze zu Polen oder anderen Grenzabschnitten aktiv werden könnten? Was würde man dann machen?
Ministerpräsident Schoof: Es ist jetzt genau eine Woche her, dass Geert Wilders mich morgens um halb neun anrief und mir mitteilte, dass er sich aus der Regierung zurückzieht und damit das Kabinett nicht länger unterstützt. In meinen offiziellen Erklärungen dazu und in meinem Bericht über die Zurverfügungstellung der Ministerposten habe ich gegenüber dem niederländischen König gesagt - das habe ich auch später im Parlament wiederholt -, dass es meiner Ansicht nach unnötig und auch unverantwortlich war, zu diesem Zeitpunkt die Regierung zu verlassen. Es war unnötig, weil wir gerade in der Diskussion über die Hauptlinien der Migration waren - wir hatten in unserem Koalitionsvertrag schon Maßnahmen aufgelistet und bestätigt - und unverantwortlich, weil wir in einer geopolitischen Situation stecken, in der eine niederländische Regierung, die wir gerade ein knappes Jahr hatten, mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit Beschlüsse hätte fassen können, die in diesen Zeiten erforderlich sind. Bezüglich dieses Themas möchte ich es dabei belassen.
Ich überlasse es jedem, darüber seine eigenen Meinungen oder Überlegungen zu äußern, was in den letzten Tagen auch in der niederländischen Presse vollends passiert ist. Eine Auseinandersetzung damit geschieht ganz zu Recht und ist sehr wichtig.
Zu Artikel 72 - das ist schon ein bisschen in der vorherigen Frage angesprochen worden -: Sie sehen, dass die Niederlande das im Moment nicht tut. Wir schauen mit großem Interesse auf die Entwicklungen in Deutschland. Ich habe verstanden, dass es da einen Vorschlag gibt. Eine Ausarbeitung dieses Planes zu den finanziellen, historischen und juristischen Aspekten hat in den Niederlanden heute im Parlament keine Mehrheit bekommen.
Bundeskanzler Merz: Ich befürchte nicht, dass es hier so etwas gibt, wie es das gerade punktuell in den Niederlanden gegeben hat, dass sich Bürger selbst auf den Weg machen, die Grenzen zu kontrollieren. Wenn das jemand in Deutschland tun würde, dann wäre das rechtswidrig. Ich gehe davon aus, dass die zuständigen Behörden - auch die Bundespolizei und diejenigen, die die Aufgabe haben, die Grenzen zu kontrollieren - so etwas sofort unterbinden würden. Ich sehe im Augenblick, offen gestanden, überhaupt keine Veranlassung dazu, so etwas auch nur zu erwägen. Denn die Grenzkontrollen, die notwendig und möglich sind, finden gegenwärtig unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Deutschland statt. Sie sehen anhand der Zahlen, dass sie auch Wirkung entfalten. Insofern gehe ich nicht davon aus, dass wir uns mit diesem Problem beschäftigen müssen.
Frage: Herr Wilders hat sich gut an der Bundesregierung orientiert, was die Asylwende anbelangt. Er hat einige Maßnahmen übernommen, Grenzkontrollen und das Zurückschicken von Asylbewerbern. Sehen Sie es als realistisch an, dass die Niederlande das auch tun werden - vielleicht nicht mehr unter Ihrer Führung, aber in der Zukunft? Und haben Sie Herrn Merz vor so einem Paket gewarnt, dass eine Regierung dann über diese Maßnahmen zu Fall kommen könnte?
Ministerpräsident Schoof: Vielen Dank für Ihre Frage. Das Regierungsprogramm basierte auf dem Eckpunktepapier von vier Parteien. Darin standen recht strenge Maßnahmen bezüglich Asyl und Migration, um die Migration unter Kontrolle zu bekommen. Wir waren gerade damit beschäftigt, das durchzuführen. Es war ein ganzes Paket von Maßnahmen, das so auch in der niederländischen Geschichte bisher noch nie dagewesen war. Dieses Paket wollte das Kabinett tatsächlich ausführen. Wir waren gerade damit beschäftigt. Wichtig waren dafür zwei Gesetzentwürfe, die dem Parlament gerade vorgelegt wurden. Das Parlament sollte sich dazu gerade noch äußern. Inwiefern das in einer anderen Regierung zu entsprechender Zeit - Sie wissen, dass es Ende Oktober Wahlen geben wird. Die Koalitionsverhandlungen werden noch ein bisschen Zeit kosten. Aber im Jahre 2026 werden wir zweifellos eine neue Regierung bekommen, die nicht den Namen Schoof tragen wird.
Dazu, welche Pläne das zukünftige Kabinett haben wird, werde ich nichts sagen. Darüber werde ich nicht spekulieren. Das ist an den Parteien, die dann die neue Regierung bilden werden. Sie werden zweifellos auch das Thema der Migration auf die Agenda setzen. Es wird mit davon abhängen, welchen Dingen das Kabinett jetzt zustimmt, was die zwei Gesetze anbelangt.
Frage: Herr Ministerpräsident, Herr Bundeskanzler, eine Frage an Sie beide zum Thema der Russlandsanktionen: Die EU-Kommissionspräsidentin hat gerade das 18. Sanktionspaket vorgestellt. Die ersten 17 Pakete haben nicht dazu geführt, den russischen Präsidenten zum Umdenken oder Einlenken zu bringen. Wie kann das 18. Paket tatsächlich einen Unterschied machen? Glauben Sie wirklich, dass Sie Putin damit beeindrucken und etwas verändern können, oder sind weitere, härtere Sanktionen notwendig?
Herr Bundeskanzler, eine Frage an Sie mit Blick auf den NATO-Gipfel: Der Verteidigungsminister hat vor ein paar Tagen gesagt, dass die Bundeswehr 60.000 zusätzliche Soldaten benötige. Denken Sie, dass das ohne eine Wiedereinführung der Wehrpflicht möglich ist?
Bundeskanzler Merz: Ich habe schon seit mehreren Tagen immer wieder auch mit der Kommissionspräsidentin engen Kontakt und ermutige sie, dieses Paket schnell auf den Weg zu bringen. Es wird weitere Sanktionen im Bankensektor und im Energiesektor geben.
Ich will dem Eindruck widersprechen, die bisherigen Sanktionen hätten nichts gebracht. Die Sanktionen haben die russische Wirtschaft empfindlichst getroffen. Die Frage, wie lange Russland diesen Krieg noch durchhält, hängt auch davon ab, wie stark die Sanktionen wirken.
Das ist der Grund dafür, dass wir uns zusammen - das tue auch ich persönlich - so sehr dafür einsetzen, dass auch Amerika jetzt Sanktionen verhängt. Sie wissen, dass der amerikanische Präsident noch nachdenkt. Sie wissen aber auch, dass es im amerikanischen Kongress eine Initiative von mittlerweile über 80 Senatoren gibt, die dies in dieser Woche auf den Weg bringen wollen. Ich habe in meinen Gesprächen in der vergangenen Woche in Washington unsere Position sowohl gegenüber dem amerikanischen Präsidenten als auch gegenüber den Senatoren sehr klar vertreten, und zwar in der Hoffnung, dass wir mit den Amerikanern zusammen auf diesem Wege weiteren Einfluss auf Russland, weiteren Druck auf Putin ausüben.
Ich will allerdings auch hinzufügen: Es kann noch eine ganze Weile dauern. Wir dürfen in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, weder in der militärischen Unterstützung der Ukraine, noch in der Durchsetzung dieser Sanktionen. Je stärker die Sanktionen wirken, desto schneller gibt es eine Chance, diesen schrecklichen Krieg zu beenden.
Ich bin mir in der Einschätzung des Weges, den wir beschreiten und den wir in der Europäischen Union ebenso wie mit den Amerikanern verabreden, ganz sicher, dass es richtig ist, dass wir so vorgehen. Ich bin jederzeit dazu bereit, Gespräche zu führen, aber auch dazu, mit militärischer Stärke und massivem wirtschaftlichen Druck auf Russland zu reagieren, wenn diese Gespräche verweigert werden, und sie werden von der russischen Seite verweigert.
Zuruf: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)
Bundeskanzler Merz: Wir haben im Koalitionsvertrag die Verabredung getroffen, zunächst mit einer stärkeren Attraktivität das Personal zu werben, das wir für die Bundeswehr brauchen. Ich teile die Einschätzung des Bundesverteidigungsministers, dass uns heute schon eine hohe fünfstellige Zahl von Soldaten in der Bundeswehr fehlt. Wir werden genau anschauen müssen, ob Attraktivitätsprogramme und Freiwilligkeit ausreichen. Wenn Freiwilligkeit nicht ausreicht, dann müssen wir sehr bald über zusätzliche Schritte miteinander sprechen. Aber das ist im Koalitionsvertrag so miteinander verabredet, und ich sehe im Augenblick keine Veranlassung, davon abzuweichen.
Ministerpräsident Schoof: Ergänzend will ich bezüglich der Kampfhandlungen in der Ukraine, des Aggressionskriegs, der von Russland begonnen wurde, sagen: Ich weiß nicht mehr, ob wir noch von einem guten Ende sprechen können. Aber es muss und kann nur dann zu einem Ende kommen, wenn wir dafür sorgen, dass die Ukraine stark steht. "Peace through strength", das ist, denke ich, immer noch ein sehr wichtiger Begriff.
Ein wichtiger Pfeiler ist, dass wir die Ukraine politisch, militärisch, finanziell, aber auch moralisch unterstützen. Das ist ein wichtiger Pfeiler. Ein zweiter ist die permanente Ausübung von Druck auf Russland, um Russland an den Verhandlungstisch zu zwingen. Dieser Druck kann in entscheidendem Maße nur durch ein Sanktionspaket ausgeübt werden, indem wir die russische Wirtschaft hindern und begrenzen. Deswegen wird die niederländische Regierung Sanktionspakete immer unterstützen. Wir stecken mitten in den Diskussionen um ein 18. Paket. Man sieht auch - ich denke, das haben wir auch in den Worten des Bundeskanzlers gehört -, dass die russische Wirtschaft wirklich schon getroffen ist. Wir müssen auf diesem Weg weitergehen, damit wir dafür sorgen, dass sich Russland wirklich an den Verhandlungstisch setzt, sodass wir zunächst einmal über einen Waffenstillstand sprechen können und dann zu weiteren Verhandlungen in Richtung eines Friedens gehen können. Das ist wichtig für die Sicherheit der Ukraine und auch für die Sicherheit Europa aufgrund des Aggressionskrieges, der von Russland begonnen wurde.