Universität Konstanz

01/23/2025 | Press release | Distributed by Public on 01/23/2025 08:35

Schnellere Medikamentenentwicklung mithilfe künstlicher Intelligenz

Die Entdeckung und Entwicklung von Arzneimitteln in der pharmakologischen Forschung - inklusive einer Risikobewertung von Wirkstoffen in der frühen Phase der Medikamentenentwicklung - beruhen noch immer in großen Teilen auf Tierversuchen. Neben den ethischen Fragen, die damit verbunden sind, sind tierexperimentelle Studien sehr kostspielig und zeitaufwändig und bedürfen in der Regel einer dauerhaften Betreuung und Auswertung durch hochqualifiziertes Personal. Die Entwicklung automatisierter Analyseverfahren, die Alternativen zum klassischen Tierversuch darstellen, wäre daher in vielerlei Hinsicht ein großer Gewinn für die Arzneimittelforschung.

Um die Entwicklung solcher Alternativmethoden geht es in dem Projekt "EmbryoNet-AI", für das Patrick Müller gerade einen Proof of Concept Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) in Höhe von 150.000 Euro erhalten hat. Müller ist Professor für Entwicklungsbiologie an der Universität Konstanz und assoziiertes Mitglied des Konstanzer Exzellenzclusters "Kollektives Verhalten". Sein Projekt baut auf Erkenntnissen auf, die er und sein Team in dem ebenfalls vom ERC geförderten Projekt "ACE-OF-SPACE" ("Analysis, control, and engineering of spatiotemporal pattern formation") gewonnen haben. Ziel des neuen Projekts ist die Weiterentwicklung der KI-gestützten Bildanalyse-Software EmbryoNet aus Müllers Forschungsgruppe, die Entwicklungsstörungen bei Tier-Embryonen vollautomatisiert erkennt.

EmbryoNet ermöglicht eine schnelle, kostengünstige und hochpräzise Bewertung der Wirkung von Substanzen auf die Entwicklung biologischer Systeme. Negative Effekte, wie sichtbare Entwicklungsstörungen, werden vollautomatisiert erkannt und Störungen der zugrundeliegenden Signalwege zugeordnet. Dabei übertrifft EmbryoNet in seiner Genauigkeit sogar menschliche ExpertInnen. "Wir sehen hier ein hohes Anwendungspotential in der Medikamentenentwicklung, insbesondere in der frühen Phase der Wirkstoffsuche - bei der Risikobewertung und der Aufklärung der Wirkmechanismen potentieller neuer Medikamente", sagt Müller.

Nicht nur für Embryonen geeignet

Erstmalig vorgestellt haben Müller und sein Team EmbryoNet 2023 in der Fachzeitschrift Nature Methods anhand einer Studie mit Zebrafisch-Embryonen. Inzwischen haben sie die Software derart erweitert, dass sie auch mit sogenannten Organoiden funktioniert. "Organoide sind künstliche Gewebe, die im Labor aus menschlichen Stammzellen hergestellt werden. Je nach Aufbau ähneln sie kleinen Organen - wie Leber, Niere oder Gehirn - und können in der Wirkstoffforschung als Modell für diese verwendet werden", erklärt Müller.

Im Rahmen des Proof of Concept Grants werden Müller und sein Team die der Software zugrundeliegenden KI-Modelle weiter verbessern, um die Genauigkeit und vor allem den Funktionsumfang von EmbryoNet weiter zu erhöhen. Gleichzeitig soll eine Online-Plattform entstehen, über die EmbryoNet für AnwenderInnen weltweit nutzbar wird. Dazu werden Müller und sein Team eng mit anderen Forschenden, PartnerInnen aus der Industrie und wichtigen Regulierungsbehörden zusammenarbeiten, um die Online-Plattform auf die Bedürfnisse späterer NutzerInnen und die regulatorischen Vorgaben abzustimmen. Das übergeordnete Ziel ist die Entwicklung von EmbryoNet zum marktreifen Produkt.

Die Idee: Da EmbryoNet vollautomatisiert arbeitet, könnten forschende Pharmaunternehmen die Plattform fest in ihre Forschungspipeline integrieren. So könnten mit EmbryoNet zum Beispiel hunderte Substanzen parallel im Hochdurchsatzverfahren auf ihre Wirkung oder aber auch auf Risiken für bestimmte Organe oder Entwicklungsprozesse getestet werden, ohne dass es für jede einzelne Substanz einer langwierigen Studie mit einer hohen Zahl an Versuchstieren bedürfte. Aufschlüsse über die Wirkmechanismen potentieller neuer Wirkstoffkandidaten liefert EmbryoNet dabei gleich mit. "In der Arzneimittelforschung könnte EmbryoNet dann auf lange Sicht viele Tierversuche ersetzen sowie herkömmliche Prozesse durch die Automatisierung enorm beschleunigen und gleichzeitig deutlich kostengünstiger gestalten", so Müller.

Über den Proof of Concept Grant

Der Proof of Concept Grant des ERC mit seiner Fördersumme von 150.000 Euro sieht eine Projektlaufzeit von 18 Monaten vor. Er kann ausschließlich von WissenschaftlerInnen beantragt werden, die bereits einen ERC Grant innehaben und ein Forschungsergebnis aus diesem Projekt verwerten möchten. Ziel eines Proof of Concept-Projekts ist die Überprüfung des Marktpotenzials von Forschungsergebnissen und deren Weiterentwicklung in Hinblick auf die Anwendungsreife, Kommerzialisierung und Vermarktung.