12/04/2025 | Press release | Distributed by Public on 12/04/2025 10:24
Der moderne bürokratische Staatsapparat hat, so notierte Max Weber zu Beginn des 20. Jahrhunderts, »durch seine innere durchrationalisierte Struktur […] an die Stelle der ›Revolutionen‹ die ›Staatsstreiche‹ gesetzt«. Dieser Befund hat an Aktualität nichts verloren. Mehr noch erleben wir gegenwärtig eine weitere folgenreiche Verschiebung. An die Stelle des klassischen Putsches tritt in Europa wie in den Vereinigten Staaten die sukzessive Transformation der Verfassung in Form ihrer Aushöhlung von innen, die von gewählten Regierungen betriebene dynamische Erosion des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung insgesamt. »Der demokratische Rückschritt beginnt heute an der Wahlurne«, schreiben Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ›How Democracies Die‹. Zugleich gibt es, etwa in Westafrika, aktuelle Varianten von Militärputschen.
Fragen mit Blick auf Europa, die Vereinigten Staaten, Westafrika und Südamerika
Die Mosse Lectures wollen die Formen des Staatsstreichs historisch-systematisch beleuchten und nach den kulturellen Machtverschiebungen fragen, die mit ihm einhergehen. Welche Bedeutung kommt dem Staatsstreich in Zeiten einer allgemeinen »Wiederkehr des Autoritären« und einer Rekultivierung von Männlichkeit zu? Welche Rolle spielt der Aufstieg der Tech-Elite für die Schwächung demokratischer Institutionen? Welche neuen Perspektiven kann ein postkolonialer Blick auf Staatsstreiche eröffnen? Und lässt sich die Aushebelung von Demokratien durch die Identifizierung und Sichtbarmachung von Mustern rechtzeitig eindämmen? Die Mosse Lectures stellen diese Fragen mit Blick auf Europa, die Vereinigten Staaten, Westafrika und Südamerika. Ergänzt werden die Mosse Lectures in diesem Semester durch ein Begleitprogramm zu Staatsstreichen im Film, das in Kooperation mit dem Zeughauskino am Deutschen Historischen Museum in Berlin an fünf Abenden im Januar und Februar 2026 zu sehen sein wird.
Termin
Zum Auftakt der Mosse Lectures »Staatsstreiche. Zwischen Putsch und Verfassungscoup« wird die Rechtswissenschaftlerin Anna-Bettina Kaiser am 4. Dezember unter dem Titel »Staatsstreich, Ausnahmezustand, Regression« der Frage nachgehen, ob sich in den höchst unterschiedlichen Ausprägungen aktueller Verfassungskrisen weltweit eine Rückkehr des Staatsstreichs ankündigt.
Die Mosse-Lectures an der Humboldt-Universität sind eine Veranstaltungsreihe der Mosse Foundation und der Fritz Thyssen Stiftung. Sie werden veranstaltet und unterstützt vom Institut für deutsche Literatur. Mit ihren in jedem Semester neu gewählten Schwerpunktthema widmen sich die Mosse-Lectures der Vermittlung von Wissen und Wissenschaft in den Bereichen von Geschichte, Kulturgeschichte, Politik, Wirtschaft, Kunst und Literatur. Eingeladen werden prominente Wissenschaftler*innen, Autor*innen, Künstler*innen und Politiker*innen aus dem In- und Ausland.