12/15/2025 | Press release | Distributed by Public on 12/15/2025 12:31
Bei Schizophrenie oder Epilepsie sind die Neuronen im Gehirn aus dem Takt geraten. Sie senden ihre winzigen Stromstöße nicht mehr geordnet weiter. Die begleitenden, ebenso winzigen Magnetfelder lassen sich mit optisch gepumpten Magnetometern messen. Diese Quantensensoren werden in einem neuen Zentrum der PTB und der Charité - Universitätsmedizin Berlin erstmals für größere Patientengruppen zugänglich gemacht.
In dieser Haube stecken 96 OPM-Sensoren und messen die winzigen Magnetfelder des Gehirns (Foto: Charité | René Krempin)(zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken)
Sie eröffneten am 20. Oktober das neue OPM-MEG-Zentrum (vorne v. l.): Prof. Dr. Peter Krüger, Wissenschaftlicher Zentrumsleiter der PTB; Prof. Dr. Joachim Spranger, Dekan der Charité; Prof. Dr. Cornelia Denz, Präsidentin der PTB; Prof. Dr. Peter Uhlhaas, Wissenschaftlicher Zentrumsleiter der Charité. Hinten v. l.: Dr. Ina Czyborra, Berliner Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege; Dr. Arne Höll, Leitung Referat VI B2 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWE) (Foto: Charité | René Krempin)(zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken)
Es zischt und pufft leise. Langsam schwingt die Tür auf und gibt den Blick frei auf eine hell erleuchtete Kabine mit einem Stuhl darin. Er sieht aus wie Großmutters Fernsehsessel mit einer Frisörhaube darüber. Nur alles in Weiß und mit vielen Kabeln. Peter Krüger zeigt auf die Frisörhaube: "Das ist das Eine-Million-Euro-Gerät", und seine Augen leuchten. Spätestens jetzt wird klar: Das hier ist natürlich keine Trockenhaube, sondern ein topmodernes Messgerät. Genauer: 96 einzelne Messgeräte. Jedes der kleinen Plastikquader, die in die Öffnungen der weißen Plastikhaube gesteckt sind, ist ein kleines Wunderwerk: ein optisch gepumptes Magnetometer. Jedes von ihnen kann Magnetfelder im Bereich von einigen Pikotesla messen. Das ist etwa hundert Milliarden mal kleiner als das Erdmagnetfeld, das auch schon ungeheuer klein ist. Damit das Erdmagnetfeld nicht stört, und auch nicht das Magnetfeld des Fahrstuhls hier im Gebäude, ist die Kammer von mehreren Schichten eines speziellenMetalls umgeben. Alles in der Kammer ist unmagnetisch. "Deswegen auch die pneumatische Türöffnung", erklärt Peter Krüger. Kein äußerer Stromfluss darf hier die Signale stören, die in den Gehirnen der Patient*innen gemessen werden sollen.
Die neuen Sensoren haben viele Vorteile
Wegen der Patient*innen und der klinischen Expertise steht die Kabine an diesem Ort: am Berlin Center for Advanced Neuroscience (BCAN) in einem Altbau auf dem traditionsreichen Campus Berlin-Mitte der Charité, einer der größten und renommiertesten Unikliniken Europas. Peter Uhlhaas, Psychologe und Professor bei der Charité, ist für die medizinische Seite der klinischen Studien zuständig, die hier laufen sollen. Peter Krüger, Physiker an der PTB und Professor an der University of Sussex, UK, hat mit seinem Team das messtechnische Know-how rund um die Sensoren und die Abschirmtechnik beigesteuert und wird hier neben Forschung zur Sensortechnik auch eigene Patientenstudien durchführen. Die beiden sind die Leiter des neuen Zentrums und sind heute gekommen, um mir eben dieses zu zeigen.
Der Name ist noch nicht besonders knackig, das geben die beiden freimütig zu: "OPM-MEG-Zentrum" steht für optisch gepumpte Magnetometer (OPM) und Magneto-Enzephalografie (MEG). Die MEG- Messtechnik ist das magnetische Gegenstück zum EEG. "Aber MEG-Messungen liefern ein deutlicheres Signal", erklärt Peter Krüger. Bislang machte man sie mit SQUIDs, supraleitenden Quanteninterferometern. Die müssen allerdings extrem gekühlt werden, weshalb sie einen relativ klobigen Schutz brauchen, um die Patient*innen nicht zu verletzten. "Die OPMs dagegen müssen nur ein bisschen geheizt werden", erklärt Peter Krüger. Da schützt schon eine recht dünne Plastikschicht, so wie bei den kleinen, etwa Lego-förmigen Sensoren hier. Das ist wesentlich preiswerter. Es ist auch flexibler, weil man die Sensoren schnell mal neu arrangieren kann. Und man kann jeden einzelnen Sensor durch die Plastikhaube hindurchschieben, bis ganz nah an die Kopfhaut. Damit kommt man gerade bei Patient*innen mit kleineren Köpfen, etwa Kindern, viel näher an das Gehirn heran. Wegen all dieser Vorteile sehen Krüger und Uhlhaas große Chancen für die neue Messtechnik. "Wir sind sehr stolz, dass wir die Möglichkeiten der optisch gepumpten Magnetometer jetzt hier für die klinische Forschung nutzen können", sagt Uhlhaas.
Stolpernde Neuronen als Biomarker
Wenn die gerade laufende Kalibrierung der neuen Sensoren abgeschlossen ist, werden die ersten Patient*innen kommen. So etwa im Januar, schätzt Uhlhaas. Er forscht vor allem zu Schizophrenie. "Schizophrenie ist eine der belastendsten Erkrankungen überhaupt", erklärt er. Uhlhaas will hier unter anderem Patient*innen untersuchen, die erste Symptome einer möglichen Schizophrenie gezeigt haben, etwa Stimmen-Hören. Wenn sich hier zeigt, dass ihre Neuronen tatsächlich einen auffällig anderen Rhythmus haben als die gesunder Menschen, dann könnte dies ein Biomarker für die Entwicklung einer wirklichen Schizophrenie sein. "Diese Menschen werden wir dann besonders engmaschig begleiten", erklärt er.
Bei Epilepsie-Kranken geht es darum, die entsprechenden Herde im Gehirn schonender zu detektieren. Bei dieser Krankheit helfen oft die Medikamente nicht gut, und eventuell wird eine Operation nötig. Um vor der OP genau zu erfassen, wo im Gehirn operiert werden muss, müssen bislang EEG-Elektroden ins Gehirn eingesetzt werden. Die OPMs könnten die Epilepsie-Herde von außen finden. Allerdings wird es wohl noch fünf bis zehn Jahre dauern, bis dies in der klinischen Routine angekommen ist, schätzt man.
Rund eine Stunde stehen wir zu dritt in der engen Kabine. Die beiden Professoren erzählen mit ansteckender Begeisterung von den Möglichkeiten, die sich hier bieten. Dann machen wir uns zu zweit auf den Weg zur PTB in Berlin-Charlottenburg, eine kurze Busfahrt entfernt. Peter Krüger nutzt sie, um noch mehr über die Aufgaben der PTB in dem OPM-MEG-Zentrum zu erzählen: die Weiterentwicklung der OPM-Sensoren, die Entwicklung von Referenzgeräten und die Qualitätssicherung, und nicht zuletzt den Technologietransfer und die Förderung von Startup-Firmen. Mit all diesen Aufgaben ist das neue Zentrum ein wichtiger Pfeiler des Quantentechnologiezentrums der PTB.
GPS-Ersatz
Während die PTB schon in Sicht kommt, erzählt Peter Krüger von den weiteren Möglichkeiten dieser super-empfindlichen Magnetfeldmessgeräte: "Man kann mit ihnen auch direkt das Erdmagnetfeld messen. Über dessen Anomalien lässt sich ermitteln, wo man sich befindet. Das sind faszinierende Alternativen für Fälle, in denen etwa das GPS eines Flugzeuges gestört wird. Oder bei U-Booten oder Tunneln, wo gar kein Satellitenempfang möglich ist." Früher habe er solche Einsatzfelder, die natürlich auch militärisch sein können, abgelehnt. Aber die Zeiten haben sich geändert.
In der PTB angekommen, geht das Feuerwerk der Möglichkeiten weiter: Hier in den Laborräumen der PTB wird unter anderem erforscht, wie sich die OPMs mit anderen medizinischen Diagnosemethoden wie EEG oder der sogenannten Nahinfrarot-Spektroskopie kombinieren lassen, um neue oder noch genauere Diagnosemethoden zu entwickeln.
Und dann führt Peter Krüger mich in einen Raum, der ein besonderes Lieblingskind von ihm beherbergt: ein OPM-Gerät, mit dem man die Batterien von E-Autos checken kann. Hier helfen die supergenauen Magnetfeldsensoren dabei, verdächtige Stromflüsse zu finden, also Schäden in der Batterie - und zwar schon vor ihrer endgültigen Montage. Aber das ist der Stoff für eine ganz eigene Geschichte.
es/ptb
Ansprechpartner
Prof. Dr. Peter Krüger, Leiter des PTB-Fachbereichs 8.2 Biosignale, Telefon: (030) 3481-7213, peter.krueger(at)ptb.de
Prof. Dr. Peter J. Uhlhaas, Sektionsleiter Biomarker, Frühintervention und digitale Medizin, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Telefon: (030) 450 516 193, peter.uhlhaas(at)charite.de
Infokasten: Was machen die Quanten in den OPM-Sensoren?
Ein optisch gepumptes Magnetometer enthält ein Gas, etwa Rubidium. Dessen Atome haben zunächst alle möglichen Quantenzustände, konkret: alle möglichen Spins. (Quantenphysikalisches Detail: Jedes dieser Atome befindet sich in allen Zuständen gleichzeitig, jedenfalls solange man nicht hinsieht oder misst.) Man muss sie sich wie skleine Magnete vorstellen, deren Nord- und Südpole in alle möglichen Richtungen weisen. Aber dann schaltet man einen Laser an, und plötzlich richten sich die kleinen Magnete alle in dieselbe Richtung aus. (Man sagt: Das Quantensystem kollabiert, weil jetzt nicht mehr verschiedene Zustände gleichzeitig da sind, sondern nur noch einer.) Das Interessante ist, dass schon kleinste Magnetfelder (also auch die der menschlichen Neuronen) diese neue Ordnung stören können. Und dies wiederum lässt sich laserspektroskopisch messen. Fertig ist der Sensor für kleinste Magnetfelder.
(Quelle: M. Brickwedde et al.: Applications of OPM-MEG for translational neuroscience: a perspective. Transl Psychiatry 14, 341 (2024). doi.org/10.1038/s41398-024-03047-y)
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Autorin / Autor: Erika Schow