12/03/2025 | Press release | Archived content
Neue Messmethodik macht Konfliktverhalten in Gruppen messbar
Wie hilfsbereit man der eigenen Gruppe gegenüber ist, hängt mit der eigenen Konflikterfahrung zusammen.
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Warum verhalten wir uns oft hilfsbereit gegenüber Menschen in unserer Gruppe und benachteiligen fremde Gruppen? Um das herauszufinden, haben Forschende ein neues Werkzeug entwickelt, das erstmals ermöglicht, Hilfsbereitschaft (Altruismus) und Gruppenbezogenheit (Parochialismus) unabhängig voneinander zu messen.
In Kooperation mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten in Wien, Innsbruck und Boston führten Hannes Rusch und Isabel Thielmann vom Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg fünf umfangreiche Studien mit mehr als 1.100 Menschen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen durch, darunter Fußballfans zweier deutscher Erstligisten, Anhänger politscher Parteien in den USA oder Mitglieder indigener Gemeinschaften in Äthiopien. Die Teilnehmenden mussten in ökonomischen Experimenten Entscheidungen treffen, bei denen sie mit ihrem Verhalten anderen real Vorteile oder Nachteile verschafften.
Die Forschenden verwendeten hierbei zwei Tests, die sie zu einem Messinstrument kombinierten: Der erste Test erfasst, wie bereitwillig jemand anderen Menschen helfen würde, selbst wenn es für einen selbst einen Nachteil bedeutet ("altruistisches Verhalten"). Der andere, neu entwickelte Test misst, wie sehr eine Person die eigene Gruppe gegenüber Fremdgruppen bevorzugt oder benachteiligt ("parochiales Verhalten"). Das Forscherteam nutzte beide Tests in verschiedenen sozialen Gruppen sowie in unterschiedlichen kulturellen und realen Konfliktkontexten.
Auf diese Art konnten Forschende beide Verhaltensweisen erstmals unabhängig voneinander messen. Dazu kombinierten die Wissenschaftlern zwei Maße - das Individual-Social-Value-Orientation-Maß, das die altruistische Präferenz gegenüber Einzelpersonen misst und das neue Group-Social-Value-Orientation-Maß. Es bildet die Präferenz für das Wohlergehen der eigenen Gruppe im Vergleich zu Fremdgruppen ab. In Kombination liefern die Methoden Hinweise, warum Menschen anderen Gruppen schaden und der eigenen Gruppe helfen. Bislang standen der Wissenschaft nur eindimensionale Ansätze als Messmethode zur Verfügung.
"Mit dem neuen Messinstrument können wir das Zusammenspiel von Hilfsbereitschaft und Gruppendenken genauer untersuchen und so unser Verständnis von den Ursachen und Dynamiken realer Konflikte vertiefen", erklären Hannes Rusch.
Die vorliegende Studie zeigt: Das Zusammenspiel beider Verhaltensweisen beeinflusst unser Verhalten in Gruppenkonflikten. Jedoch wirken sie unterschiedlich und hängen von verschiedenen Faktoren ab. Die Hilfsbereitschaft gegenüber der eigenen Gruppe (Altruismus) beispielsweise steigt mit der tatsächlichen Konflikterfahrung (etwa bei Menschen, die selbst Gewalt oder Bedrohung erfahren haben).
Die Neigung zur Benachteiligung fremder Gruppen (Parochialismus) hängt dagegen vor allem von der subjektiven Wahrnehmung der Konfliktintensität ab. Anders als von einigen bisherigen Theorien angenommen, kann Parochialismus gegenüber unterschiedlichen Fremdgruppen variieren. Mit anderen Worten: Wie stark wir andere Gruppen benachteiligen, kommt auf die konkrete Fremdgruppe an. Bisherige Theorien gingen dagegen meist von einer einheitlichen Feindseligkeit gegenüber allen Fremdgruppen aus.
"Die Studie belegt erstmals, dass Parochialismus davon abhängt, wie intensiv ein Konflikt mit einer Fremdgruppe subjektiv empfunden wird. Im Prinzip kann jemand also zum Beispiel fremdenfeindlich sein gegenüber bestimmten Nationalitäten sein und gleichzeitig fremdenfreundlich, wenn es um bestimmte Religionen geht. In Frage steht weniger, ob es sich um Fremdgruppen handelt, sondern eher, mit welcher Gruppe Konflikte gesehen werden", fasst Isabel Thielmann zusammen.
Um genauer zu klären, wie sich die Stärke der Identifikation mit der eigenen Gruppe und verschiedene Rahmenbedingungen auf das Verhalten in Konfliktsituationen auswirken, werden den Autoren zufolge zusätzliche Forschungsvorhaben nötig sein.