05/07/2025 | Press release | Distributed by Public on 05/07/2025 01:26
Im April feierte "The Great Gatsby", ein Klassiker der amerikanischen Moderne, sein 100-jähriges Jubiläum. Dieser Jahrestag bietet Anlass für literaturkritische und kulturwissenschaftliche Auseinandersetzungen mit der Aktualität von F. Scott Fitzgeralds Meisterwerk. Eine wichtige Frage dabei ist: Welche Bedeutung hat das Wort "great" in Zeiten von "Make America Great Again" - dem Slogan, den die aktuelle US-Administration mit Präsident Donald Trump an der Spitze immer wieder propagiert?
In der kulturellen Rezeption wird "The Great Gatsby" häufig als paradigmatisches Beispiel einer literarischen Darstellung des "American Dream" verstanden. Dieser wird im Roman durch das grüne Licht in der Hafenanlage symbolisiert, das Gatsby keine Ruhe lässt, genau wie seine Erinnerung an eine gescheiterte Liebesbeziehung. Wenngleich der Begriff des "American Dream" erst 1931 in James Truslow Adams "The Epic of America" geprägt wurde, beschäftigt sich auch Fitzgerald mit Amerikas vermeintlicher nationaler Identität als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Allerdings stellt Fitzgerald das Spannungsfeld zwischen Diskursen des sozialen Aufstiegs und des überbordenden Materialismus heraus.
Diese Spannung ist symptomatisch für die titelgebende Figur des Jay Gatsby, der aus bescheidenen Verhältnissen stammt und sein Vermögen durch Alkoholschmuggel, Finanzbetrug und andere ruchlose Aktivitäten macht. Sein Name, der "große" Gatsby, weckt die Vorstellung eines Schaustellers, eines Illusionisten. Er ist ein Meister der Manipulation und stirbt schließlich im Zuge einer Betrügerei. Die Größe, die Gatsby verkörpert, entspricht nicht dem Ideal der Chancengleichheit, sozialen Gerechtigkeit oder gar moralischen Überlegenheit, sondern verbindet sozialen Aufstieg mit nepotistischem und eigennützigem Machtmissbrauch einiger Weniger.
100 Jahre nach der Erstveröffentlichung hat sich "Der große Gatsby" als durchaus prophetisch erwiesen, da viele der von Fitzgerald thematisierten Probleme in der heutigen Zeit nachhallen. Soziale Ungleichheit, Umweltverschmutzung, exzessiver Materialismus und die Verlockung des mühelosen Erfolgs treffen auch auf das heutige Zeitalter von Amazon und Social Media zu. Fitzgeralds pointierte Abbildung von Meinungen über befürchtete Kulturkriege und die Auswirkungen der politischen Gleichberechtigung der Frauen klingen in den konservativen und rechtsextremen Diskursen in den USA und anderswo nach.
Rassistische und sexistische Äußerungen geben in so manch gehobener Gesellschaft in Gatsbys Umfeld den Ton an, Eugenik und Segregation werden dabei als Gesellschaftsmodelle in den Raum gestellt. Zusätzlich dazu beleuchtet der Roman eine Art sozialer Hyperaktivität, die sich zum Beispiel darin zeigt, dass Personen und Geschehen wiederholt als rastlos benannt werden. Wenn auf Gatsbys Party die Lichter ausgehen, muss man unweigerlich an die Weltwirtschaftskrise der "Great Depression" denken, die auf die gleichsam manische Phase der sogenannten Roaring Twenties folgte.
Doch seinen Roman primär als Porträt dieser Zeit zu verstehen, verkennt Fitzgeralds tiefes philosophisches Interesse. Inmitten seiner scharfsinnigen Diagnose komplexer Gesellschaftsstrukturen beschreibt er Momente der Selbstreflexion, der Suche nach kulturellem Erbe und nach einem kritischen Geschichtsbewusstsein. Auch auf der formalen Ebene bricht "The Great Gatsby" mit etablierten Erzählmustern. Fitzgerald verabscheute Klischees und äußerte wiederholt seine Abneigung gegen tradierte Phrasen und Ideen. Seine Motivation, in seinem dritten Roman etwas, wie er 1922 in einem Brief an seinen Verlagslektor Maxwell Perkins schreibt, "ganz Neues" zu schaffen, zeigt sich in den zahlreichen stilistischen Experimenten, beispielsweise mit der Erzählperspektive, dem Soziolekt der High Society von Long Island und der Ausformulierung eines typisch amerikanischen Zeitgeists. Der Roman endet bekanntlich mit Nick Carraways kontemplativen Blick über den Atlantik und dem Versuch, den kolonialen Ursprung von Amerikas idealisiertem Selbstbild als Modell der freien Welt in die gesellschaftlichen Diskurse der 1920er-Jahre zu integrieren. Ästhetischer Erfahrung von Kunst und Kultur schreibt Fitzgerald dabei eine besonders bedeutende Rolle zu.
Prof. Dr. Silvia Schultermandl © OpernFoto "The Great Gatsby" war nicht immer so populär wie heute. Das Interesse an der Erstveröffentlichung war moderat; zum Bestseller wurde der Roman nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als er in der "Armed Services Edition" an stationierte und heimkehrende US-Soldaten verteilt wurde. Sein Ruf als Inbild des amerikanischen Traums entstand erst damals, also gleichzeitig mit dem Ausbau Amerikas wirtschaftlicher und politscher Vormachtstellung. Nicht die von Fitzgerald intendierte Gesellschaftskritik, sondern jene Interpretation des "great" aus der Zeit des Kalten Kriegs dominiert bis heute das kulturelle Erbe dieses vielschichtigen Meisterwerks. Die Relevanz literarischer Werke in gesellschaftlichen und politischen Debatten dazu stellt nicht zuletzt Fitzgeralds Roman selbst unter Beweis.Dr. Silvia Schultermandl ist Professorin für American Studies am Englischen Seminar.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 7. Mai 2025.