eco - Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V.

01/17/2025 | News release | Distributed by Public on 01/17/2025 01:12

NRW macht KI greifbar für den Mittelstand

Künstliche Intelligenz ist ein Motor für die digitale Transformation - auch für KMU. Doch welche Potenziale stecken tatsächlich in der Technologie, und wie lassen sich Herausforderungen wie fehlendes Wissen, Datenmanagement oder rechtliche Unsicherheiten bewältigen?

Im Gespräch beleuchten Dr. Christian Temath, Geschäftsführer der Kompetenzplattform KI.NRW, und eco Geschäftsführer Andreas Weiss die Chancen, die KI insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen bietet. Dabei wird deutlich: KI entfaltet ihr Potenzial nur vollständig in Verbindung mit starken digitalen Infrastrukturen, einer innovationsfreundlichen Unternehmenskultur und praxisorientierten Unterstützungsangeboten.

Herr Dr. Temath, die meisten KMU haben bereits die "erste Welle" der Digitalisierung gemeistert. Wo sehen Sie die größten Potenziale von KI, um diese digitalen Prozesse weiterzuentwickeln?

Christian Temath: Grundsätzlich liegen in nahezu allen Branchen spannende Potenziale - zum Beispiel in der Kreativbranche, im Handel und Handwerk oder im Dienstleistungssektor. Neben den vielen heute schon verfügbaren KI-Tools werden künftig in vielen Arbeitsbereichen neue Werkzeuge zur Verfügung stehen, die uns assistieren werden. Da gehen Analytische und Generative KI Hand in Hand: Künstliche Intelligenz sehe ich vor allem in der Produktentwicklung und -verbesserung: Hier wird eine KI beispielsweise Vorschläge machen zur Optimierung bestehender Designs. Auch in der Produktion ist KI vielseitig einsetzbar, beispielsweise in einer KI-gestützten Qualitätssicherung. Oder in der Energiebranche beim Monitoring von Stromnetzen. Darüber hinaus werden insbesondere repetitive, administrative Prozesse in der öffentlichen Verwaltung oder im medizinischen Bereich künftig größtenteils durch Künstliche Intelligenz unterstützt - etwa in der Analyse oder bei der Erstellung von Dokumenten, wie Arztbriefen. Hier sitzen enorme Potenziale zur Bewältigung des Fachkräftemangels. Aber auch schon heute gibt es eine Vielzahl bewährter Lösungen, und das wird sicherlich noch mehr werden. Ebenso kann KI beim Thema Nachhaltigkeit unterstützen, ob beim Gebäude-Energie-Management, der CO2-einsparenden Auftrags- und Tourenplanung oder der bedarfsgerechten Produktion von frischen Lebensmitteln.

Herr Weiss, im Projekt GAIA-X ist eco in vorderster Front engagiert. Wie tragen solche Projekte dazu bei, vertrauenswürdige und sichere KI-Lösungen für KMU bereitzustellen, die gleichzeitig die Anforderungen an Datenschutz und europäische Standards erfüllen?

Andreas Weiss: Grundsätzlich adressieren wir den Aufbau kooperativer Datenökosysteme und die Initiative Gaia-X hat Grundlagenarbeit geleistet, wenn es darum geht, vertrauenswürdige dezentrale Datenerhebung und Verarbeitung zu ermöglichen. Für KMU bedeutet das, dass sie Zugang zu KI-Lösungen erhalten, die auf europäischen Datenschutz- und Sicherheitsstandards basieren. Durch interoperable und resiliente Cloud-Infrastrukturen können Unternehmen ihre Daten sicher nutzen und mit KI-Anwendungen nahtlos verbinden. Datensouveränität ist dabei entscheidend, da sie sicherstellt, dass Unternehmen die Kontrolle über ihre Daten behalten und diese in einem vertrauenswürdigen Umfeld nutzen können. Konkrete Anschlussinitiativen, wie zum Beispiel Manufacturing-X fördern damit nicht nur den Einsatz von KI und weitere wertschöpfenden Verfahren, sondern auch das Vertrauen der Unternehmen und ihrer Kund*innen in diese digitalen Technologien.

Wo sehen Sie bei KMU den größten Bedarf, wenn es um Künstliche Intelligenz geht? Weshalb ist besonders KI-(Aus)Bildung so wichtig?

Christian Temath: Die Entwicklungen sind rasant und die Zahl der KI-Angebote und -Produkte steigt täglich. Da Künstliche Intelligenz aber für viele Menschen und Unternehmen etwas komplett Neues darstellt und insbesondere KMU oft das nötige Wissen fehlt, ist es essenziell, KI zu einem wichtigen Thema in der Aus- und Weiterbildung zu machen. Es besteht die Notwendigkeit, dass Mitarbeitende lernen und verstehen, wie KI grundsätzlich funktioniert. Sie sollten auch Antworten auf die Frage enthalten, wo KI im konkreten Anwendungsfall helfen kann und wo eben nicht. An dieser Stelle ist mir wichtig zu betonen, dass KI die Mitarbeitenden unterstützen, sie aber nicht ersetzen soll. Für die wichtigen und essenziellen Themen bleibt der Mensch derjenige, der die Entscheidung trifft. Ebenfalls wird in Aus- und Weiterbildung besprochen, wie sich Künstliche Intelligenz in bestehende Prozesse und die Unternehmenskultur einbinden lässt. Ein häufig genanntes Stichwort in diesem Kontext ist die Vertrauenswürdigkeit und Sicherheit von KI-Anwendungen. Hier gibt es noch ein gewisses Maß an Mystifizierung und Unsicherheit.

Wie lässt sich die Adaption von KI in KMU beschleunigen und eine breite Akzeptanz dafür schaffen?

Andreas Weiss: Ich sehe das ähnlich wie Herr Temath, möchte aber ergänzen, dass neben klassischen Weiterbildungen und Pilotprojekten branchenspezifische Schulungsformate, die gezielt die Besonderheiten einzelner Industrien berücksichtigen, eine entscheidende Rolle spielen können. Gerade in Branchen wie dem Handwerk, der Logistik oder der Gesundheitswirtschaft sind spezifische Herausforderungen zu beachten, die eine maßgeschneiderte Herangehensweise erfordern.

eco bietet hier mit der Initiative "KI in der Praxis" eine zentrale Plattform, die Unternehmen gezielt unterstützt, KI-Trends zu überblicken und handhabbare Konzepte für den praktischen Einsatz zu entwickeln. Die Initiative umfasst verschiedene Arbeitsgruppen, die sich unter anderem mit Datenökosystemen, Infrastrukturen und rechtlichen Rahmenbedingungen beschäftigen. Besonderes Augenmerk liegt auf kleinen und mittelständischen Unternehmen, für die praxisorientierte Tools, Servicekataloge und Lernprogramme bereitgestellt werden.

Ergänzend dazu stärken wir zum Beispiel mit unserer Kampagne "KI Future Tech" die Akzeptanz von KI, denn hier geben wir Unternehmen aus verschiedensten Branchen ein Forum, um aus erster Hand von ihren Best Practices und KI-Leuchtturmprojekten zu berichten. Dadurch möchten wir den praktischen Einsatz von KI als Innovationskatalysator veranschaulichen und Unternehmen dazu ermutigen, in den Austausch zu gehen und eigene Projekte anzustoßen.

Ein weiterer Ansatz ist, Mitarbeitende aktiv in die Konzeption und Entwicklung von KI-Anwendungen einzubinden. Dies könnte zum Beispiel über Workshops geschehen, bei denen konkrete Anwendungsfälle im eigenen Unternehmen entwickelt werden. Solche Formate schaffen nicht nur Wissen, sondern fördern auch die Akzeptanz und das Vertrauen in KI-Lösungen. Wir bieten dazu eine Ausbildungsreihe zur/zum "KI Beauftragte(n)" an.

Darüber hinaus ist es wichtig, eine Innovationskultur zu etablieren, die den offenen Umgang mit neuen Technologien unterstützt. eco trägt durch Veranstaltungen, Fachgruppen und Arbeitskreise aktiv dazu bei, Berührungsängste abzubauen und Unternehmen miteinander zu vernetzen, um Synergien zu nutzen. Initiativen wie "KI in der Praxis" bieten dabei Raum für den Austausch von Best Practices und fördert die Entwicklung konkreter Anwendungsfälle - ein entscheidender Schritt, um KI in die Breite zu bringen und die Wettbewerbsfähigkeit von KMU nachhaltig zu stärken.

Wie genau kann KI.NRW in solchen Fällen unterstützen?

Christian Temath: An dieser Stelle setzen wir mit Aufklärungsangeboten an und begleiten insbesondere KMU und Start-ups in Nordrhein-Westfalen beim Start ihrer KI-Reise. Dazu zählen beispielsweise unsere "KI.Sprechstunde", aber auch der "KI.Kick-off". Darüber hinaus bieten wir das Workshopformat "AI.Shadowing" an. Hier gehen unsere Expert*innen direkt in die Unternehmen und beobachten Prozesse und Abläufe, um dann KI-Potenziale zu identifizieren, zu bewerten und gemeinsam mit dem Unternehmen relevante KI-Use-Cases zu erarbeiten. Im "AI Design Sprint™" wiederum entwickeln wir mit den Mitarbeitenden konkrete KI-Lösungsansätze. An dieser Stelle möchte ich auch auf unsere digitale KI.Landkarte verweisen, die mit mehr als 1300 Einträgen das KI-Ökosystem in NRW abbildet. Sie umfasst neben Forschungsprojekten, KI-Anwendern und KI-Anbietern, auch Studiengänge und berufliche Weiterbildungsangebote, die Unternehmen für ihre Mitarbeitenden nutzen können.

Welche Art von KMU wendet sich an Sie und wie werden diese auf Sie aufmerksam?

Christian Temath: Wir haben festgestellt, dass sich ein breites Interesse an KI eingestellt hat: Daher wenden sich Unternehmen der unterschiedlichsten Größenordnungen und Branchen an uns. Das können kleine Handwerksbetriebe sein, ein Sachverständigenbüro, ein mittelgroßer Verlag oder Industrieunternehmen. Diese erfahren von KI.NRW und unseren Angeboten beispielsweise über Branchenveranstaltungen der verschiedenen Industrie- und Handelskammern, an denen wir mit Einstiegsvorträgen oder Informationsständen teilnehmen. Die Initialzündung, sich mit KI auseinandersetzen zu wollen, kommt etwa durch Tech-affine Mitarbeitende. Und seit einiger Zeit sind es auch immer häufiger Führungskräfte, die bedingt durch das hohe mediale Interesse an KI wissen möchten, was da alles auf sie zukommt und welche Chancen Künstliche Intelligenz ihrem Unternehmen bietet.

Wo sehen Sie typische "Fehler", die KMU bei der Implementierung von KI machen? Gibt es aus Ihrer Sicht vielleicht sogar hausgemachte "Fallstricke", die diese Unternehmen schon im Vorfeld vermeiden könnten?

Christian Temath: Einige Unternehmen haben eine übertriebene Erwartungshaltung an Künstliche Intelligenz, dass sie alle Probleme löst. Das ist nicht der Fall. Vielmehr ist es wichtig, bei dem ersten KI-Use-Case einfach und messbar zu starten. Man sollte mit einem konkreten Prozess anfangen, einem, den man sehr gut verstanden hat. Denn wer genau weiß, wo die Knackpunkte liegen, kann auch gut einschätzen, an welchen Stellschrauben man zum Beispiel mit KI drehen müsste, um einen Prozess zu verbessern. Das kann etwa eine optimierte Qualitätskontrolle in der Produktion sein oder effizientere administrative Prozesse. Voraussetzung für alle KI-Projekte im Unternehmen sind geeignete Daten, mit denen die KI trainiert wird. Das heißt, die Datenbasis muss stimmen, damit KI gute und im Kontext eines Unternehmens sinnvolle Ergebnisse liefern kann. Weiterhin ist für den erfolgreichen Einsatz von Künstlicher Intelligenz wichtig, dass KI als Teamsport begriffen wird, bei dem die Mitarbeitenden intensiv und insbesondere in die KI-Lösungsfindung einbezogen werden. Das gilt speziell für diejenigen, die selbst in den jeweiligen Prozessen oder Bereichen mit KI arbeiten sollen. So können sie ihr Wissen einbringen, um gemeinsam einen Use Case zu definieren. Das erzeugt eine positive Grundstimmung und schafft Akzeptanz.

Wodurch zeichnet sich NRW als KI-Standort aus? Was läuft gut in NRW, wo gilt es, nachzubessern?

Christian Temath: Wir haben in NRW viele große Unternehmen, Mittelständler sowie eine lebendige Start-up-Szene - sogar mit einem Einhorn: dem KI-Übersetzungstool DeepL - und viele "Hidden Champions" in unterschiedlichsten Branchen. Diese setzen KI bereits aktiv ein. Darüber hinaus verfügen wir über eine exzellente Forschungslandschaft mit Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die eng mit Start-ups und Unternehmen zusammenarbeiten. Beispielsweise wurde in NRW mit dem Projekt OpenGPT-X unter Federführung von Fraunhofer IAIS und IIS ein großes Sprachmodell mit einem Fokus auf europäische Sprachen entwickelt, das seit Herbst 2024 als Open Source zur Verfügung steht. Besonders viel passiert gerade auch im Rheinischen Revier, z. B. durch die Investition von Microsoft in KI-Rechenzentren. Und dann gibt es noch die von der Landesregierung geförderte Flagship-Initiative, für die wir als KI.NRW die Schirmherrschaft übernehmen. Hierbei handelt es sich um KI-Pioniervorhaben aus unterschiedlichen Branchen wie Handel, Produktion, Handwerk und Gesundheit. In deren Rahmen arbeiten Expert*innen aus Forschung und Praxis an Lösungen für Realweltprobleme. Hier zeigt sich: NRW kann KI. Aber natürlich kann es von allem immer mehr sein, zum Beispiel, dass deutlich mehr KMU Künstliche Intelligenz anwenden. Hier gibt es noch Nachholbedarf. An dieser Stelle möchte ich den Unternehmen Mut machen, sich mit KI zu beschäftigen und einfach loszulegen. Wir unterstützen gerne.

Was braucht es aus Ihrer Sicht noch, damit KI in Deutschland und NRW zur Success Story wird?

Andreas Weiss: Nicht nur hier in NRW, sondern bundesweit bedarf es dazu vor allem starker Infrastrukturen! Leistungsfähige Rechenzentren sind das Rückgrat für die Entwicklung und Anwendung moderner KI-Modelle, die enorme Rechenleistung und Speicher benötigen. Die aktuelle eco Studie "Spillover-"Effekte von Rechenzentren: Rückgrat der KI-Revolution in Deutschland" zeigt eindrücklich, dass Unternehmen, die auf Cloud- und Rechenzentrumsinfrastrukturen setzen, nicht nur innovativer sind, sondern auch höhere Produktivitätszuwächse erzielen. Besonders auffällig ist, dass der Umsatzanteil neuer Produkte und Dienstleistungen bei Rechenzentrumsnutzern deutlich höher liegt als bei Unternehmen ohne diese Infrastruktur. Die Verbindung aus starken Infrastrukturen und KI eröffnet Unternehmen neue Chancen, digitale Produkte und Dienstleistungen schneller und effizienter zu entwickeln. Dafür benötigen wir zudem ein starkes Ökosystem an Talenten, die sich mit den Technologien der KI-Entwicklung, dem Betrieb und der Adaption in den Unternehmen beschäftigen. Wir planen derzeit zusammen mit dem KI Bundesverband das Projekt LEAM (Large European AI Models) im Rheinischen Revier, das genau das adressiert. Also die Erstellung spezieller KI-Modelle, die Ansiedlung von Start-ups und innovativen Unternehmen und den Transfer aus Forschung in die Wirtschaft. Das ist dann auch ein signifikanter Wertbeitrag für den Strukturwandel von der Braunkohle zu digitalen Technologien.

Unterstützt werden diese Maßnahmen durch sogenannte IPCEIs (Important Projekt of Common European Interest). Eine aktuell laufende Maßnahme unter der Bezeichnung "8ra" (gesprochen oora oder auch IPCEI-CIS) konzentriert sich sehr auf Cloud- und Edge- Infrastrukturen und ermöglicht die flexible Datensammlung und Verarbeitung in der Fläche, was somit auch die Grundlage für angeschlossen KI-Wertschöpfungsverfahren darstellt.

Und welche rechtlichen und regulatorischen Herausforderungen sehen Sie bei der Einführung von KI in KMU, und wie kann die Politik unterstützend wirken?

Andreas Weiss: Eine der größten Herausforderungen ist die Unsicherheit vieler Unternehmen in Bezug auf rechtliche Vorgaben, wie sie etwa der AI Act der EU definiert. Gerade für KMU ist es essenziell, dass regulatorische Anforderungen klar und umsetzbar sind, ohne unnötige Hürden aufzubauen. Die Politik kann hier unterstützen, indem sie praxisnahe Leitfäden und Förderprogramme bereitstellt, die die Implementierung von KI erleichtern. Gleichzeitig sind internationale Wettbewerbsfähigkeit und Datensouveränität wichtige Themen, die durch abgestimmte europäische Regularien gefördert werden sollten.

eco als Verband der Internetwirtschaft spielt dabei eine zentrale Rolle, indem wir die Interessen unserer Mitglieder in die politischen Diskurse einbringen und als Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik agieren. Wir unterstützen unsere Mitglieder mit fundierten Informationen und setzen uns dafür ein, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen innovationsfreundlich und praxisnah gestaltet werden. Initiativen wie 8ra, Manufacturing-X, Gaia-X sind dabei ein Beispiel dafür, wie durch Kooperationen auf europäischer Ebene Standards geschaffen bzw. aufeinander abgestimmt werden, die sowohl regulatorische Anforderungen erfüllen als auch Datensouveränität und wirtschaftliche Entwicklung fördern.

Zum Jahresbeginn wird zudem die Arbeitsgruppe "Rahmenbedingungen" unserer Initiative "KI in der Praxis'" eine Handreichung zum AI Act veröffentlichen. Diese wird konkrete Hilfestellungen für Unternehmen bieten, um die Anforderungen des Gesetzes besser zu verstehen und umzusetzen.

Vielen Dank für das Gespräch!