Österreichisches Parlament

04/29/2025 | Press release | Distributed by Public on 04/29/2025 03:37

April 1945: Ehemalige Mitarbeiter des Parlaments melden sich an ihrem alten Arbeitsplatz Das Wiener 'Gauhaus' wird wieder zum Hohen Haus

Wien (PK) - Als der Zweite Weltkrieg 1945 zu Ende ging, hatte das österreichische Parlament mehr als ein Jahrzehnt lang nicht mehr als solches gearbeitet. Das repräsentative Haus am Ring war 1934 vom "Ständestaat" als "Haus der Bundesgesetzgebung" zum Sitz eines Scheinparlaments gemacht geworden. Nach 1938 wurde das Haus am Ring als Wiener "Gauhaus" von den Nationalsozialisten zweckentfremdet. In den letzten Kriegswochen entging das Gebäude nur knapp der völligen Zerstörung. Zwei Bombentreffer im Februar und ein Brand im Herrenhaustrakt im April 1945 setzten der Bausubstanz massiv zu.

Für eine Wiederaufnahme des parlamentarischen Betriebs im Haus am Ring fehlte im Frühjahr 1945 neben der Infrastruktur auch der notwendige Stab der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das war die Folge einer Entwicklung, die bereits einige Jahre vor dem "Anschluss" begonnen hatte. Zeigen lässt sich das am Mitarbeiterstab des Stenographenbüros, das für die Erstellung der "Stenographischen Protokolle" und die Herausgabe der "Staatskorrespondenz" verantwortlich war. Mit dem Ende der parlamentarischen Demokratie 1934 wurde das Stenographenbüro personell stark reduziert. Das NS-Regime traf diese Einrichtung dann mit der vollen Wucht seiner verbrecherischen Politik. Flucht, Vertreibung sowie die Ermordung mehrerer jüdischer Mitarbeiter (diese waren zu dieser Zeit ausschließlich Männer) des Stenographenbüros und der "Staatskorrespondenz" folgten.

"Meldung zum Dienst" am 28. April 1945

Zu den wenigen früheren Mitarbeitern des Stenographenbüros, die das Kriegsende in Wien erlebten, gehörten Theodor Rudolf Alt und Josef Meier. Nach der Proklamation der Unabhängigkeit Österreichs durch Staatskanzler Karl Renner am 27. April 1945 zog Alt aus der Ankündigung von Wahlen einer Volksvertretung den Schluss, dass ein Parlament auch wieder Stenographen brauchen werde. "Es galt somit, auch für die Neubildung des mit einer freien Volksvertretung untrennbar verbundenen Stenographenamtes vorzusorgen", schreibt Alt in seinem 1948 publizierten Buch zur Geschichte der Parlamentsstenographie, "Hundert Jahre im Dienste der österreichischen Volksvertretung".

Als pflichtbewusster österreichischer Beamter meldete Alt sich schon am nächsten Tag bei der Provisorischen Regierung zum Dienstantritt. Auch ein zweiter ehemaliger Kollege, Josef Meier, kam am 28. April aus dem Ruhestand zurück, in den er 1938 zwangsweise versetzt worden war. Die beiden Veteranen der Parlamentsstenographie wurden vorerst dem Präsidialdienst der Staatskanzlei von Karl Renner "zur vorläufigen Verwendung" zugeteilt.

Schon am nächsten Tag, den 29. April, wurden Alt und Meier in den aktiven Dienst genommen und nahmen an einem historischen Ereignis teil, der symbolischen Übergabe des Parlamentsgebäudes an die Provisorische Staatsregierung durch die sowjetische Militärverwaltung. "Nach sieben Jahren trostloser Hoffnungslosigkeit war endlich, endlich der 29. April 1945 gekommen", erinnert sich Alt. Er beschreibt den "strahlenden Sonnenschein eines schönen Frühlingstages", an dem die Regierung der wiedererstandenen Republik sich "im geschlossenen Zuge, vom Jubel der dichtgedrängten Volksmassen umrauscht, zum Parlamentsgebäude [begab], vor dem eine russische Militärkapelle österreichische Weisen spielte". Alt und Meier hielten die Rede von Staatskanzler Karl Renner fest, um sie "der einzigen in Wien damals erscheinenden Zeitung", der Tageszeitung "Neues Österreich", zu übermitteln.

Mit dem Hinweis auf Jahre der "trostlosen Hoffnungslosigkeit" spielte Alt auch auf seine persönliche Situation an. Er war jüdischer Abstammung und überstand die NS-Verfolgung nur, weil er mit einer nichtjüdischen Frau in einer so genannten "geschützten Mischehe" lebte. Auch sein Kollege Meier war von der NS-Rassengesetzgebung betroffen. Nach dem "Anschluss" 1938 wurde er zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Der Grund war in diesem Fall die jüdische Abstammung seiner Ehefrau Bettina (geb. Reich).

Alt forscht nach dem Verbleib seiner Kollegen

Für den Aufbau eines neuen Stenographischen Dienstes für das Parlament machte Alt sich auf die Suche nach weiteren überlebenden Kollegen. "Ohne amtlichen Auftrag und ohne Kenntnis, ob und in welcher Eigenschaft er darin Platz fände, unternahm der Verfasser, der mit einem vom alten Büro übriggebliebenen Kollegen in der Staatskanzlei vorübergehend Verwendung gefunden hatte, aus eigenem Antrieb […] eine Suchaktion nach ehemaligen Mitgliedern [des Stenographenbüros]". "Erst nach monatelangen durch die Abschnürung Österreichs sehr erschwerten Interventionen gelang es, zwei Kollegen aus der Kriegsgefangenschaft zu befreien", schreibt Alt.

Die weitere Suche hatte wenig Erfolg. So zeigte sich, dass "nach dem Ergebnis der Nachforschungen an dem Tod von sechs Kollegen leider nicht mehr zu zweifeln war". Der langjährige Stenographendirektor, Josef Fleischner, war im KZ Theresienstadt verstorben, Josef Kafka, Robert Gelles und Julius Bernblum waren 1942 "nach Minsk verschleppt" worden. Seitdem gab es von ihnen "keine Nachricht", notierte Alt. Heute wissen wir, dass sie im Vernichtungslager Maly Trostinec bei Minsk ermordet wurden. Nach heutigem Wissensstand wurden insgesamt 15 ehemalige Parlamentsstenographen während der NS-Zeit in Konzentrationslagern verschleppt und ermordet.

Drei der Kollegen, die Alt ausfindig machen konnte, kamen "aus politischen Gründen nicht in Betracht", sie waren also ehemalige Nationalsozialisten. Einer fiel "wegen Krankheit" aus, zwei waren "einer Rückkehr aus dem Ausland nicht geneigt". Bei diesen dürfte es sich um Theodor Brüll in Argentinien und Hugo Schoszberger in Großbritannien gehandelt haben. Nach heutigem Wissen waren 13 ehemalige Parlamentsstenographen emigriert.

Die Parlamentsstenographie öffnete sich für Frauen

Die neue demokratische Volksvertretung, die Renner angekündigt hatte, ließ vorerst noch auf sich warten. Auf die Einberufung der Überlebenden des Nationalrats vor seiner Auflösung wurde verzichtet. Neuwahlen waren erst zu Jahresende möglich. Bereits im September und Oktober 1945 traten jedoch drei "Länderkonferenzen" der wiedererstandenen Bundesländer zusammen. Sie konnten den politischen Zusammenhalt Österreichs über die Demarkationsgrenzen hinweg sichern. In seinen Erinnerungen berichtet Alt mit erkennbarem Stolz, dass es ihm und Meier gelang, für die Länderkonferenzen "unter Aufbietung aller möglichen Hilfsmaßnahmen ein Stenographenbüro in Dienst zu stellen". Ein Foto von der ersten Länderkonferenz, die am 24. und 25. September 1945 im Niederösterreichischen Landhaus stattfand, zeigt zwei ältere Herren an einem Tisch vor der Regierungsbank sitzend, die als die Stenographen Alt und Meier identifiziert werden können.

Im Dezember 1945 wurde Alt formal mit dem Wiederaufbau und der Leitung des "Stenographenamts" im Parlament beauftragt. Bereits von der Eröffnung des neugewählten Nationalrats am 19. Dezember 1945 konnte ein Stenographisches Protokoll angefertigt werden. Alt berichtet, dass es aufgrund der personellen Unterbesetzung des neuen Stenographenamts notwendig war, "im Bedarfsfalle auswärtige Hilfskräfte heranzuziehen". Diese "Externisten" stammten vor allem aus dem Stenographenbüro des Wiener Gemeinderats. In seinen Erinnerungen hebt Alt hervor, dass dabei "zum erstenmal in den hundert Jahren seines Bestandes - auch Frauen Verwendung fanden." Der durch den Krieg verursachte Mangel an Männern im arbeitsfähigen Alter machte sich also auch hier bemerkbar.

"Tausende Stücke" Munition und Sprengkörper im Parlamentsgebäude

Die symbolische Inbesitznahme des Parlamentsgebäudes am 29. April 1945 bedeutete noch keine Aufnahme des regulären Sitzungsbetriebes. Das Haus war durch Bomben und Brände schwer beeinträchtigt worden. "Erschüttert besahen diejenigen, denen die Räume aus früherer Tätigkeit bekannt waren, die furchtbaren Zerstörungen eines verbrecherischen Wahnsinns", beschrieb Alt den Zustand, in dem er seine alte Arbeitsstätte an diesem Tag vorfand.

Bereits am nächsten Tag, den 30. April, gab Staatskanzler Renner dem langjährigen Mitarbeiter der technischen Gebäudeverwaltung Karl Albrecht den Auftrag, Aufräum- und Sicherungsarbeiten im Parlament durchzuführen. Trotz der symbolischen Übergabe hatte immer noch die sowjetische Militärverwaltung die Verfügungsgewalt über das Gebäude. Sie gewährte Albrecht erst am 14. Mai 1945 Zutritt. Bei seiner Besichtigung kam dieser zum Ergebnis, dass etwa 60 % der Bausubstanz Schäden erlitten hatte. Er bewertete 20 % des Hauses als "schwer beschädigt", 15 % sogar als "völlig zerstört". Als erste Maßnahme zur Sicherung des Gebäudes ließ Albrecht Zugänge schließen und offene Stellen im Erdgeschoss zumauern.

Als besondere Gefahr für das Gebäude wertete Albrecht die Tatsache, dass das Gebäude zu Kriegsende offenbar als Waffenlager benützt worden war. Laut seinem Bericht fand er "zu tausenden Stücken gelagerten Munition" vor, unter anderem Handgranaten, Panzerfäuste, Maschinengewehr- und Gewehrmunition. Acht große LKW waren für den Abtransport im Juni 1945 notwendig, notierte Albrecht. Dieses Detail verdeutlicht, dass der Sitz der parlamentarischen Demokratie Österreichs in den letzten Kriegsmonaten nur knapp der vollständigen Zerstörung entgangen war. Ungeachtet der riesigen Herausforderungen gelang es im Laufe der kommenden Monate, den Parlamentsbetrieb wieder aufzunehmen. Am 19. Dezember 1945 konnten der Nationalrat und der Bundesrat ihre konstituierenden Sitzungen bereits im Haus am Ring abhalten. (Schluss) sox

HINWEIS: Das Parlament beleuchtet 2025 drei Meilensteine der Demokratiegeschichte. Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, vor 70 Jahren wurde der Staatsvertrag unterzeichnet und vor 30 Jahren trat Österreich der EU bei. Mehr Informationen zum Jahresschwerpunkt 2025 finden Sie unter www.parlament.gv.at/kriegsende-staatsvertrag-eu-beitritt . Fotos von den Ereignissen im April 1945 finden Sie im Webportal des Parlaments.