Universität Siegen

01/10/2025 | Press release | Distributed by Public on 01/10/2025 05:31

Klimafreundlicher bauen mit Pfählen

Klimafreundlicher bauen mit Pfählen

Geotechniker*innen der Universität Siegen entwickeln zusammen mit Bauunternehmen ein neues System für Pfahlgründungen. Das Ziel ist, bei den Pfählen Beton einzusparen und damit die CO2-Emission bei Bauvorhaben deutlich zu reduzieren.

Soll ein Gebäude errichtet werden, muss der Grund sicher, also tragfähig sein. Ist das nicht der Fall, können Pfähle helfen. Sie werden in die Erde gebracht, um hohe Lasten in tieferliegende Schichten zu übertragen. Wissenschaftler*innen des Lehrstuhls für Geotechnik an der Universität Siegen entwickeln zurzeit zusammen mit Bauunternehmen ein neues Pfahlsystem. Ziel des Projektes ist es, die Tragfähigkeit der einzelnen Pfähle zu erhöhen. Die Pfähle müssten dann nicht mehr so lang sein, wie bisher. So ließe sich Beton und damit CO2 einsparen. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit insgesamt 1,5 Mio. Euro gefördert, davon gehen rund 407.000 Euro an die Universität Siegen.

"Beton ist im Bausektor einer der größten CO2-Treiber. Wenn es uns gelingt, kürzere Pfähle mit gleicher Tragfähigkeit zu entwickeln, könnten wir einen wichtigen Beitrag zum nachhaltigen und klimafreundlichen Bauen leisten", sagt die Siegener Geotechnikerin Prof. Dr.-Ing. Kerstin Lesny. Erste Berechnungen am Beispiel eines fiktiven Bauvorhabens mit 1.000 Pfählen sind vielversprechend: Demnach könnten mit einem optimierten Pfahlsystem gegenüber herkömmlichen Systemen zwischen 20 und 50 Prozent CO2 eingespart werden.

Das Siegener Projekt setzt bei der Entwicklung des neuen Pfahlsystems bei einer bereits etablierten Bohrtechnik an: Bei so genannten Vollverdrängungsbohrpfählen wird eine spezielle Bohrschnecke bis zur benötigten Tiefe in das Erdreich geschraubt. Dann zieht sich die Bohrschnecke langsam wieder zurück. Gleichzeitig wird flüssiger Beton durch den hohlen Schaft in das Loch gepresst. Das Loch füllt sich mit Beton, bis der Bohrer ganz herausgezogen ist. Innerhalb kurzer Zeit entsteht so ein stabiler Betonpfahl im Boden. Durch das spezielle Einschrauben des Bohrwerkzeugs wird der Boden zur Seite gedrängt und verdichtet - die Tragfähigkeit des Pfahls steigt.

Um dieses Prinzip in kleinerem Maßstab zu untersuchen, wurde in der Versuchsgrube der Siegener Geotechniker*innen einiges an Technik aufgebaut: Auf dem Grund der Grube steht ein knapp zwei Meter hoher Tank, bis zum oberen Rand mit Versuchsboden gefüllt. Oberhalb des Versuchstanks: Eine Bohranlage, jedoch deutlich kleiner als entsprechende Originalanlagen, die auf Baustellen zum Einsatz kommen. Neben der Bohranlage liegen verschiedene Modell-Bohrwerkzeuge, allesamt im Maßstab 1 zu 10 im 3D-Drucker gefertigt. Es handelt sich um Systeme, die von den Projektpartnern Jacbo Pfahlgründungen und Otto Quast entwickelt wurden und in der Praxis bereits zum Einsatz kommen.

"Wie auf der Baustelle drehen wir die unterschiedlichen Bohrwerkzeuge in unseren Versuchstank ein. Anschließend prüfen wir die Tragfähigkeit der jeweils entstandenen Pfähle. Dazu bringen wir über einen Hydraulikzylinder am Pfahlkopf eine Last auf, die wir stufenweise steigern", erklärt Projektmitarbeiter Johannes Kuhlmann vom Lehrstuhl für Geotechnik. Ein ausgeklügeltes Messkonzept registriert, welche Lasten die Pfähle tragen können und welche mechanischen Veränderungen sich jeweils im Boden ergeben.

Parallel zu den praktischen Versuchen entwickelt das Team eine numerische Berechnungsmethode, um am Computer unterschiedliche Pfahlsysteme simulieren zu können. "Auf der Grundlage der Simulationen und unserer Versuche im Tank können wir durch gezielte Modifikationen optimierte Pfahlvarianten modellieren", sagt Kuhlmann. Die vielversprechendsten Kandidaten kommen anschließend erneut in den Praxis-Test: Zunächst in verkleinertem Maßstab in der Versuchsgrube im Uni-Labor. Als letzter Schritt erfolgt schließlich in enger Zusammenarbeit mit Jacbo Pfahlgründungen und Otto Quast ein Großversuch: Dann werden die entwickelten Pfähle in Originalgröße in den Boden gebracht und unter Realbedingungen nochmals auf ihre Tragfähigkeit geprüft.

"Wir freuen uns, unser Know-How in das Projekt einbringen zu können. Gleichzeitig hoffen wir natürlich, das im Rahmen des Projektes entwickelte System zukünftig nutzen und unsere Bauprojekte damit klimafreundlicher realisieren zu können", sagen Philipp Dietrich von der Firma Otto Quast und Andreas Reinfeld von Jacbo Pfahlgründungen. Für beide ist die Zusammenarbeit mit dem Siegener Geotechnik-Lehrstuhl auch eine Art "Heimspiel": Vor ihrer beruflichen Laufbahn in der Bauindustrie haben sie selbst hier studiert und jeweils ihren Abschluss im Bauingenieurwesen gemacht.

Hintergrund:
Das Verbundvorhaben "LeVoresT - Effizienzgesteigerte Leichtbau-Vollverdrängungsbohrpfähle als ressourcenoptimierte Tiefgründungselemente in der Bauwirtschaft" ist im Dezember 2023 gestartet und läuft bis Ende November 2026. Projektpartner sind die Firmen Jacbo Pfahlgründungen GmbH und Otto Quast Bauunternehmen GmbH & Co. KG. Als assoziierte Partner sind die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, das Deutsche Institut für Bautechnik, die Goldbeck Nord GmbH, die Baugrund Dresden Ingenieurgesellschaft mbH sowie Dr. Ingo Hylla beteiligt.

Kontakt:
Prof. Dr.-Ing. Kerstin Lesny (Lehrstuhl für Geotechnik)
E-Mail: [email protected]
Tel.: 0271 740-2168


V.l.n.r.: Projektmitarbeiter Johannes Kuhlmann vom Lehrstuhl für Geotechnik, Philipp Dietrich von der Firma Otto Quast, Andreas Reinfeld von Jacbo Pfahlgründungen und Geotechnik-Professorin Dr. Kerstin Lesny von der Universität Siegen. Im Vordergrund der Tank mit Versuchsboden und die Bohranlage.

Aktualisiert via XIMS am 10.1.2025, von T.Hoffmann