Universität Bielefeld

04/29/2025 | Press release | Distributed by Public on 04/29/2025 06:10

Gedenkanstoß: MEMO-Studie warnt vor schwindender Erinnerung

80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges stehen gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung, Wissen um Verstrickungen und Engagement für Erinnerungskultur unter Druck. Innovative Bildungsformate und Gedenkstättenarbeit, freiwilliges Engagement sowie Wissensvermittlung über Familie, Wohnort und den eigenen Arbeitgeber bieten Ansatzpunkte für historisch-politische Bildungsarbeit. Das ist das Fazit der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) aus der heute in Berlin veröffentlichten Gedenkanstoß MEMO-Studie. Für die Studie untersuchten die Stiftung EVZ und das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld in einer repräsentativen Online-Befragung das kritische Geschichtsbewusstsein in Deutschland.

Für die Studie wurden die Antworten von 3.000 Befragten mit dauerhaftem Wohnsitz in Deutschland sowie mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft ausgewertet. Die Studie weist auf ungenutztes Potenzial für Engagement in der Erinnerungsarbeit hin. So gab mehr als ein Drittel der Befragten (37,9 %) zwar an, etwas tun zu können, um das Erinnern an NS-Unrecht mitzugestalten. Vor allem sagten dies jüngere Menschen und Studierende. Allerdings: Nur etwa 7,9 Prozent engagierten sich auch tatsächlich im Bereich der Erinnerung.

Antisemitismus in allen Bevölkerungsschichten hoch

Besorgniserregend sind die Befunde zu Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus. So war gut ein Viertel der Befragten (25,9 %) der Auffassung, Jüdinnen und Juden nutzten die Erinnerung an den Holocaust zu ihrem persönlichen Vorteil aus. Zum ersten Mal seit Beginn der MEMO-Studienreihe stimmte eine Mehrheit der Befragten (38,1 %) der Forderung nach einem "Schlussstrich" unter die NS-Zeit zu. "Antisemitische, rechtspopulistische und geschichtsrevisionistische Haltungen haben im Vergleich zu früheren Befragungen merklich zugenommen und sind nun endgültig wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wir sehen sie in allen Bevölkerungsschichten und gesellschaftlichen Gruppen", erläutert der Leiter der Studie, Prof. Dr. Jonas Rees, Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung und Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Universität Bielefeld.

Wenig Bewusstsein über Verstrickungen

Wissens- bzw. Wahrnehmungsdiskrepanzen offenbarten sich bei Fragen zur Verstrickung des direkten Umfelds. Über die Hälfte der Befragten (63,3 Prozent) gab an, wenig oder überhaupt nichts über die NS-Verbrechen in ihrem Wohnort zu wissen. Knapp ein Fünftel der Befragten (19,3 Prozent) stimmte der Aussage zu, der Wohlstand vieler Familien in Deutschland basiere bis heute auf Verbrechen aus der NS- Zeit; mit Blick auf die eigene Familie bejahten dies weniger als 3 Prozent. Ähnlich verhielt es sich bei dem Wissen über Unternehmen: Während mehr als ein Viertel (27,2 Prozent) angab, der Wohlstand vieler Unternehmen in Deutschland gründe auf Verbrechen in der NS-Zeit, glaubten dies von dem Unternehmen, in dem sie selbst beschäftigt waren, nur 8 Prozent. Dazu sagt Dr. Andrea Despot, Vorstandsvorsitzende der Stiftung EVZ: "Wieviel unseres heutigen Wohlstandes auf dem NS-Unrecht basiert und wie wenig gleichzeitig unser Sensorium für Kontinuitäten von fortwährender Ausgrenzung geschärft ist, ist fatal angesichts der Angriffe auf die Demokratie von innen wie von außen".

Mit "MEMO Deutschland - Multidimensionaler Erinnerungsmonitor" erforscht das IKG seit 2018, was, wie und wozu Bürger*innen in Deutschland historisch erinnern. Ziel ist die empirische Dokumentation der in Deutschland vorherrschenden Erinnerungskultur, erfasst in Form einer repräsentativen Meinungsumfrage im Bevölkerungsquerschnitt.

Zum Weiterlesen

Website zur MEMO-Studie und ausführlicher Artikel (PDF) auf den Seiten der Stiftung EVZ.

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