01/22/2025 | Press release | Archived content
Mit dem Élysée-Vertrag wurde die deutsch-französische Freundschaft besiegelt. Seither entwickelte sich eine enge politische und freundschaftliche Partnerschaft.
Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler
Am 22. Januar 2025, genau 62 Jahren nach Unterzeichnung des Vertrags über die deutsch-französische Zusammenarbeit, kurz Élysée-Vertrag , haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macronin Paris getroffen. Der Vertrag, ein Meilenstein der Aussöhnung und Freundschaft beider Länder, ist heute aktueller denn je. Gemeinsam besprachen Scholz und Macron die aktuellen Herausforderungen für Europa - und wie eine deutsch-französische Antwort darauf aussieht.
Präsident Emmanuel Macron:
Sehr verehrte Damen und Herren, ich wünsche all denjenigen, denen ich das zu wünschen noch keine Gelegenheit hatte, alles Beste für dieses neue Jahr.
Lieber Herr Bundeskanzler, lieber Olaf! Es ist mir eine sehr große Freude, heute Bundeskanzler Scholz im Élysée-Palast begrüßen zu dürfen, an diesem für die deutsch-französische Freundschaft besonderen Tag, nämlich am 22. Januar. Auf den Tag genau vor 62 Jahren hat General de Gaullezusammen mit Konrad Adenauer hier den Rahmen für unsere besondere Beziehung gesetzt. Vor sechs Jahren, zum gleichen Datum, haben wir mit Angela Merkel zusammen in Aachen eine neue Partnerschaft unterzeichnet und dieser Partnerschaft eine neue Dynamik verliehen. Ich freue mich sehr, lieber Olaf, dass ich diesen Jahrestag mit dir zusammen begehen darf.
2024 war stark geprägt durch das deutsch-französische Engagement, insbesondere für Europa. Der Bundeskanzler und ich selbst haben im vergangenen Mai einen deutsch-französischen Ministerrat in Meseberg geleitet. Dieser hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, die Wettbewerbsagenda auf europäischer Ebene zu beschleunigen und sie im Arbeitsprogramm der neuen Kommission zu verankern. Frankreich und Deutschland arbeiten gemeinsam daran, diese Agenda zu beschleunigen, auch mithilfe unserer verschiedenen Projekte der Zusammenarbeit, ob es in der Jugendarbeit ist, in der Fernsehlandschaft, in der KI oder auch in der Verteidigungsindustrie. Frankreich wird dieses Jahr einen erneuten deutsch-französischen Ministerrat ausrichten, und wir werden diesen Weg weiter verfolgen.
Nachdem nun in den Vereinigten Staaten von Amerika eine neue Regierung das Amt übernommen hat, ist es umso wichtiger, dass das deutsch-französische Tandem seine Rolle voll und ganz erfüllt, nämlich Europa konsolidiert, damit Europa geeint, stark und souverän bleibt, ein Europa, das natürlich die transatlantische Verbindung pflegt, aber auch seine eigenen Interessen zu verteidigen und zu bekräftigen versteht, mit all seinen Werten und europäischen Instrumenten. Die Priorität der Europäer muss heute mehr denn auf Europa gerichtet sein und darin bestehen, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit, den Wohlstand und die Sicherheit stärken, um auch unsere Demokratien zu stärken und unser Wirtschafts- und Sozialmodell aufrechtzuerhalten.
Wie wir aus dem Draghi-Bericht gehört haben, gibt es Feststellungen und auch Gefahren, dass es, wie gesagt, Risiken gibt, abgehängt zu werden. Da müssen wir nun handeln. Ich denke, das wird auch eines unserer Gesprächsthemen in Kürze sein. Wir sind uns mit Olaf Scholz darin einig, dass wir ein starkes Europa wollen. Wir wollen eine massive Vereinfachung in allen betroffenen Bereichen durchsetzen. Das sollte auf europäischer Ebene so anspruchsvoll wie möglich durchgesetzt werden.
Wir müssen dafür bestimmte kritische Sektoren unterstützen, die Automobilindustrie, die Stahlindustrie, die Chemieindustrie, und es ist sehr dringend, dass wir die Investitionen dafür möglich machen, ob in der KI, bei Quantencomputern, bei Biotech, Energie, Raumfahrt und selbstverständlich auch in der Verteidigungsindustrie. Dringend ist auch, dass wir in einem internationalen Umfeld, das immer brutaler und enthemmter wird, unsere Unternehmen und unsere Landwirte unterstützen, damit sie sich in einem Umfeld des fairen Wettbewerbs weiterentwickeln können. Dringend ist auch, dass die privaten und öffentlichen Investitionen vorangebracht werden und dass das europäische Sparvermögen in Europa bleibt und die entsprechenden Investitionsmöglichkeiten findet.
Ich habe bereits gesagt, dass die künstliche Intelligenz einer der wichtigsten Schlüsselsektoren ist, in denen Europa federführend und Vorreiter sein muss. Das werden wir auch bei dem künftigen Gipfel zum Thema einer Aktion für die künstliche Intelligenz Anfang Februar besprechen. Ich freue mich, dass ich bei dieser Gelegenheit auch den Bundeskanzler erneut begrüßen darf. Wir haben eine gemeinsame deutsch-französische Roadmapfür KI und werden diese vorantreiben, damit unsere Unternehmen mitziehen und weiter wachsen können.
Die Verteidigung der europäischen Interessen betrifft natürlich auch die Verteidigung als solche. Wir werden dieses Thema am 3. Februar bei einem strategischen Rat in Brüssel auf europäischer Ebene besprechen. Der Mehrwert der Europäischen Union besteht ja darin, dass wir unsere eigene industrielle und technologische Grundlage für europäische Verteidigung unterstützen. Wir müssen deswegen die wichtigsten Schlüsselsektoren identifizieren, um zu sehen, wo die Bedarfe für den Ausbau unserer Verteidigungsfähigkeiten bestehen. Wir haben bereits die wichtigen deutsch-französischen Projekte MGCS und FCAS. Dabei geht es insbesondere darum, dass wir die wichtigen Segmente ausbauen wie zum Beispiel auch in der Raumfahrtverteidigung. Wir müssen auch dafür sorgen, dass Europa nicht einfach nur mehr für die Verteidigung ausgibt, sondern auch seine eigenen Kapazitäten, seine eigene Strategie und seine eigene Industrie weiterentwickelt.
Wenn wir unsere Interessen verteidigen wollen, dann müssen wir auch für Frieden und Stabilität in unserer Nachbarschaft sorgen, nämlich die Ukraine im Angriffskrieg Russlands weiterhin unterstützen. Wir müssen dafür sorgen, dass im Nahen Osten Stabilität geschaffen wird, indem wir den politischen Übergang in Syrien und im Libanon begleiten und auch den Wiederaufbau und die Umsetzung der Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas unterstützen.
Außerdem ist es dringend notwendig, dass wir über die Zukunft und Sicherheit Europas auch in einem größeren Rahmen sprechen, nämlich im Rahmen der Europäischen Politischen Gemeinschaft, die im nächsten Mai in Albanien zusammenkommen wird.
Deutschland und Frankreich stehen zusammen. Angesichts der Herausforderungen ist es wichtig, dass das Tandem, das wir bilden, ein wirklich solides Tandem ist und eine solide Partnerschaft darstellt. Daran arbeiten wir letztendlich seit dem 22. Januar vor 62 Jahren. Wir haben gemeinsame Kapazitäten, wir haben gemeinsame Stärken. Aber wir brauchen auch unsere Partner, um diese neuen Projekte in Europa voranzubringen. Denn die einzige Antwort, die wir auf die Herausforderungen der heutigen Zeit geben können, ist mehr Unabhängigkeit, mehr Souveränität und mehr Mut, mehr Wagemut für unsere Projekte. Ich denke, dass wir in diese Richtung gemeinsam werden handeln können.
Ich freue mich sehr, lieber Herr Bundeskanzler, dass Sie heute in Paris sind. Es ist wirklich eine wichtige Freundschaft, die wir heute begehen.
Vielen Dank.
Bundeskanzler Olaf Scholz:
Monsieur le Président, cher Emmanuel! Ich freue mich sehr über die Möglichkeit, heute, an diesem ganz besonderen Tag im neuen Jahr, zusammenzukommen. Es ist eben eine besondere Freude und Ehre, genau 62 Jahre nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags hier bei dir zu sein. Der Elysée-Vertrag ist nicht nur ein Dokument der Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland. Er ist auch ein Symbol unserer tiefen Freundschaft. Merci, mon cher ami!
Die Zeiten, die wir erleben, sind herausfordernd. Gerade in solchen Zeiten kommt es in Europa auf das deutsch-französische Paar an. In deiner Rede an der Sorbonnehast du viel über europäische Souveränität gesprochen, ein Konzept, das ich auch in meiner Prager Rede aufgegriffen und fortentwickelt habe. Wir beide sind uns einig: Europa muss stark und widerstandsfähig sein in einer Welt, die, um es ganz vorsichtig auszudrücken, in Bewegung ist.
Der brutale, erbarmungslose russische Angriffskrieg auf die Ukraine läuft nun schon seit drei Jahren. Putin hat damit die Axt an die europäische Friedensordnung gelegt, deren Grundsatz lautet: Grenzen dürfen nicht mit Gewalt verschoben werden.
Zugleich beobachten wir, wie extreme Rechte überall in der westlichen Welt, in den westlichen Gesellschaften an Zulauf gewinnen. Sie setzen nicht auf ein Miteinander, sondern auf Spaltung. Sie wollen uns auseinandertreiben, und das schwächt Europa.
Ganz aktuell, in dieser Woche, haben wir es mit einer neuen US-Administration zu tun. Präsident Trumpwird, so viel ist nun schon klar, eine Herausforderung werden.
Europa und die Vereinigten Staaten verbindet eine lange Geschichte der Freundschaft und Partnerschaft. Auf diesem stabilen Fundament bauen wir auch auf. Trumphat bereits eine Reihe von Entscheidungen getroffen bzw. angekündigt. Wir werden sie natürlich gemeinsam mit unseren europäischen Partnern genau analysieren.
Unsere Haltung dabei ist eindeutig: Europa ist ein großer Wirtschaftsraum mit rund 450 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Wir sind stark, wir stehen zusammen. Europa wird sich nicht ducken und verstecken, sondern ein konstruktiver und selbstbewusster Partner sein. Auf dieser Basis werden wir mit den USA und dem neuen amerikanischen Präsidenten gut zusammenarbeiten.
Die NATO ist dabei der zentrale Garant der Sicherheit in Europa und der transatlantischen Beziehungen. In den vergangenen Jahren haben wir Europäerinnen und Europäer eine ganze Menge gemeinsam veranlasst, um den europäischen Pfeiler der Nato zu stärken: Die Ausgaben für Verteidigung steigen in fast allen europäischen Staaten, Deutschland und Frankreich haben entschieden, gemeinsam mit europäischen Partnern zum Beispiel abstandsfähige Präzisionswaffen zu entwickeln, und wir haben die deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich der Verteidigung und Rüstung vertieft, auch wenn man da noch mehr machen könnte, finde ich, und ich glaube, finden wir beide.
Lieber Emmanuel, in den vergangenen Jahren haben wir vieles gemeinsam auf den Weg gebracht. Mit neuen Formaten wie unseren gemeinsamen Kabinettsklausuren haben wir unsere Zusammenarbeit vertieft. Wir beide treiben eine deutsch-französische Agenda für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in der Europäischen Union voran, und es ist ein gutes Zeichen, dass die Kommissionspräsidentin sie nun aufgreift. Drei Punkte sind uns dabei besonders wichtig:
Erstens darf es keine Strafzahlungen für europäische Autokonzerne geben, die intensiv in die E-Mobilität investieren, aber noch nicht ausreichend Fahrzeuge dieser Art verkaufen. Statt Strafzahlungen nach Brüssel sollten sie das Geld in die Weiterentwicklung der Elektromobilität investieren. Deshalb ist es gut, dass die EU-Kommission nun einen strategischen Dialog mit der Automobilindustrie angesetzt hat, um den Herausforderungen dieser Branche zu begegnen.
Zweitens. Die Stahlbranche ist von strategischer Bedeutung für die europäische Wirtschaft und unsere Sicherheit. Wir werben daher nachdrücklich dafür, dass die Europäische Kommission dringend zu einem europäischen Stahlgipfel einlädt. Es braucht mehr Schutz für den europäischen Stahl!
Drittens müssen wir Unternehmen schnellstmöglich von bürokratischen Lasten befreien. Konkret sollte dafür die nächste Stufe der Nachhaltigkeitsberichterstattung für zwei Jahre ausgesetzt werden, und die Zahl der Berichtspunkte muss reduziert werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein letztes wichtiges Thema ansprechen - Emmanuel hat es bereits getan -, die Ukraine. Klar ist: Die Ukraine kann sich auf uns verlassen. Wir werden nicht nachlassen in unserer Unterstützung für die Ukraine, die sich seit nunmehr fast drei Jahren mit Heldenmut gegen die russische Aggression zur Wehr setzt. Das habe ich gestern Wolodymyr Selenskyj bei unserem Treffen in Davos abermals versichert. Natürlich wünschen wir alle ein Ende dieses furchtbaren Krieges. Das geht aber nur mit einer starken Ukraine.
Meine Damen und Herren, cher Emmanuel, unsere beiden Länder und Regierungen eint ein gemeinsames Ziel: Mit unseren europäischen Partnern und Freunden treten wir für ein offenes, starkes und wirtschaftlich erfolgreiches Europa ein, für ein Europa, in dem unsere Bürger frei, sicher und in Wohlstand leben. Lieber Emmanuel, dafür werben wir weiter, Seite an Seite. Vive l'amitié franco-allemande!