Bundeskanzler Friedrich Merz hat heute hochrangige Vertreterinnen und Vertreter der deutschen Stahlunternehmen und der Arbeitnehmerseite, Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder sowie die zuständigen Bundesministerinnen und Bundesminister zu einem Stahldialog im Bundeskanzleramt empfangen.
Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie die Stahlindustrie zukunftsfest gemacht wird. Neben der notwendigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit geht es gleichzeitig darum, die Industrie besser vor globalen Überkapazitäten und unfairen Handelspraktiken internationaler Wettbewerber zu schützen. Die Diskussionen drehten sich dabei um zentrale Anliegen der Stahlindustrie, wie die Verschärfung des europäischen Handelsschutzes, die Senkung der hohen Energiekosten sowie die Umstellung auf klimafreundlichere Produktionsverfahren. Die Teilnehmer waren sich einig, dass die Bewältigung dieser Herausforderungen eine wichtige Voraussetzung dafür ist, Wertschöpfung und Beschäftigung in der Stahlindustrie zu sichern und ihren Weg zur Klimaneutralität erfolgreich weiterzuverfolgen.
Bundeskanzler Merz erklärte: "Die Stahlindustrie ist von großer Bedeutung für unseren Wirtschaftsstandort. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt industrieller Wertschöpfungsketten und wirtschaftlicher Resilienz in Deutschland und Europa. Wir brauchen deshalb eine echte Stahl-Strategie, die in dem heutigen Dialog ihren Ausgangspunkt gefunden hat. Ziel ist es, wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für die Branche zu schaffen. Dabei geht es uns nicht alleine darum, die Stahlindustrie einfach nur zu erhalten, sondern wir wollen diese auch dabei begleiten, sich für die Zukunft erfolgreich aufzustellen. Denn nur mit wettbewerbsfähigen Unternehmen werden wir Produktivität und Arbeitsplätze in der Stahlindustrie langfristig sichern."
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil erklärte: "Wir kämpfen dafür, dass die Stahlindustrie in Deutschland eine Zukunft hat. Die Sicherung von Industriestandorten und Arbeitsplätzen in Deutschland hat für uns oberste Priorität. Wir müssen die Energiekosten weiter senken und die Wettbewerbsbedingungen verbessern. Außerdem müssen wir unsere Industrie schützen und eine deutliche europäische Antwort auf weltweite Überkapazitäten und Dumpingpreise geben. Wir wollen einen klaren Fokus auf klimafreundlichen Qualitätsstahl aus Deutschland und Europa. Für unsere Infrastruktur und Verteidigung, in der Autoindustrie und in anderen wichtigen Bereichen wollen wir, dass vorrangig heimischer und europäischer Stahl eingesetzt wird."
Große Anpassungsfähigkeit der Stahlindustrie und ihrer Beschäftigten
Der Bundeskanzler hob die große Anpassungsfähigkeit der Branche und ihrer Beschäftigten hervor: "Die Stahlindustrie hat bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass sie sich mit großem Mut und Veränderungswillen an sich wandelnde Rahmenbedingungen anpassen kann. Einen wichtigen Anteil daran haben ihre engagierten Beschäftigten, die sich diesen Veränderungen offen stellen und innovative Produkte und Technologien entwickeln. Darauf gilt es aufzusetzen, wenn es um die Zukunft der Stahlindustrie geht."
Bundesfinanzminister Klingbeil betonte, dass auch die Unternehmen in der Pflicht seien, ihren Beitrag zum Erfolg der Branche zu leisten: "Wir setzen uns massiv ein für den Stahl als Schlüsselindustrie in Deutschland. Wir haben aber auch eine klare Erwartung an die Unternehmen, ihre Standorte zu sichern und Arbeitsplätze zu erhalten. Wir brauchen Beschäftigungs- und Standortsicherungsvereinbarungen."
Verbesserter Handelsschutz für die Stahlindustrie
Die Teilnehmer waren sich einig, dass es konsequenter Maßnahmen bedarf, um die negativen Auswirkungen globaler Überkapazitäten und drohender Handelsumleitungen auf den EU-Markt zu adressieren. Die Bundesregierung setzt sich für einen effektiven und langfristig wirksamen Schutz gegen die negativen Auswirkungen globaler Überkapazitäten und marktverzerrende Praktiken internationaler Wettbewerber ein. Hierzu muss die EU ihre handelspolitischen Möglichkeiten ausschöpfen. Es braucht eine robuste, ausbalancierte und WTO-rechtskonforme Nachfolgeregelung für die am 30. Juni 2026 auslaufenden Safeguards. Wo rechtlich möglich und im gesamtwirtschaftlichen Interesse der Europäischen Union, müssen Handelsschutzinstrumente gegen Dumping oder Subventionen gezielt und wirksam angewendet werden, um die derzeitigen Importmengen signifikant zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund begrüßt die Bundesregierung das von der Europäischen Kommission am 7. Oktober 2025 vorgeschlagene neue Instrument, das die bestehenden Schutzmaßnahmen für den Stahlsektor ersetzen soll.
Darüber hinaus unterstützt die Bundesregierung die Bemühungen der Kommission für rasche Erleichterungen bei den US-Zöllen auf Stahl und Aluminium, einschließlich Derivaten, sodass europäische Waren über ein angemessenes Zollkontingent möglichst zollfrei in die USA exportiert werden können.
Ausnahmen bei den Sanktionen ermöglichen es Russland aktuell, in signifikantem Umfang bestimmte Stahlprodukte (Halbzeug) in die EU zu exportieren. Die Bundesregierung wird sich deshalb weiter und intensiv dafür einsetzen, bestehende Sanktionsausnahmen schnellstmöglich zu beenden. Alle Sanktions-Umgehungen werden noch konsequenter verfolgt und bestraft.
Die Bundesregierung ist sich mit der Stahlindustrie einig, dass der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) als wirksamer Schutz gegen Carbon Leakage von der EU-Kommission weiterentwickelt werden soll. Die Bundesregierung sieht eine hohe Dringlichkeit für die Vorlage entsprechender Vorschläge. Ziel ist es, das System insgesamt zu vereinfachen und Umgehungsmöglichkeiten im Stahlsektor zu verhindern. Im Rahmen der Weiterentwicklung des CBAM setzt sich die Bundesregierung für eine Erweiterung auf nachgelagerte Stahlprodukte ("Downstream") ein und fordert die Kommission auf, zeitnah ein Modell für einen WTO-konformen Exportausgleich vorzulegen. Sollte ein effektiver Carbon Leakage-Schutz über den CBAM bzw. Kompensationszahlungen nicht gelingen, soll die Wettbewerbsfähigkeit weiterhin über die kostenfreie Zuteilung von Zertifikaten geregelt werden. Der Europäische Emissionshandel gibt einen sicheren und verlässlichen Rahmen für die Transformation und einen klaren Pfad in Richtung Klimaneutralität. Nach Beschluss des 2040-Klimaziels setzt sich die Bundesregierung dafür ein, den ETS am neuen Ziel auszurichten und den linearen Reduktionsfaktor im ETS so anzupassen, dass auch nach 2039 Zertifikate in den Markt kommen.
Senkung der Energiekosten
Ein verlässliches und bezahlbares Angebot an Energie ist essentiell für die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Industrien wie der Stahlindustrie. Deshalb wird die Bundesregierung die Energiewende vorantreiben, effizienter machen und dabei vor allem Systemkosten senken. Das Energieangebot wird konsequent ausgeweitet.
Ein zentrales Anliegen der Bundesregierung ist die Senkung der Energiekosten für die Industrie. Dazu hat die Bundesregierung bereits verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, von denen Unternehmen der Stahlindustrie profitieren. Hierzu zählen etwa die Abschaffung der Gasspeicherumlage, die Reduzierung der Stromsteuer auf das europäische Minimum und die Senkung der Übertragungsnetzentgelte, allein im Jahr 2026 um 6,5 Milliarden Euro. Darüber hinaus setzt sich die Bundesregierung bei der Europäischen Kommission für weitere Entlastungsmöglichkeiten ein, um die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie zu erhalten und ihren Weg hin zu Klimaneutralität fortzusetzen. Konkret soll die sogenannte Strompreiskompensation ausgeweitet sowie ein Industriestrompreis umgesetzt werden. Anders als der Industriestrompreis würde die Strompreiskompensation für die Stahlindustrie durch die von der Bundesregierung ausdrücklich geforderte Erhöhung der Beihilfeintensität zusätzlich entlastende Wirkung entfalten. Beim Industriestrompreis geht es um ein neues ergänzendes Instrument für die anderweitig nicht weiter zu entlastenden energieintensiven Unternehmen. Hier setzt sich die Bundesregierung für eine bürokratiearme Umsetzung des Beihilferahmens ein.
Unterstützung für eine innovative Stahlproduktion
Die Bundesregierung steht zu Ihrer Unterstützung der Stahlindustrie bei der Umstellung auf innovative Produktionsverfahren. Die Förderung erfolgt u.a. über die Bundesförderung Industrie und Klimaschutz (BIK) und die CO2-Differenzverträge (Klimaschutzverträge) bzw. das IPCEI Wasserstoff. Zugleich sehen die Verträge vor, dass vom Zuwendungsempfänger ein tragfähiges Konzept zum Standorterhalt und zur Beschäftigungsentwicklung in Bezug auf das transformative Produktionsverfahren verfolgt wird. Auch die anderen Förderprogramme zur Dekarbonisierung der Industrie werden an Vereinbarungen zu Standortsicherung und Beschäftigungsentwicklung geknüpft, um sicherzustellen, dass auch langfristig auf die Wertschöpfung und den Arbeitsmarkt in Deutschland eingezahlt wird.
Im Hinblick auf den Einsatz von Wasserstoff für die Stahlproduktion wird die Bundesregierung den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft pragmatisch voranbringen. Für die Dekarbonisierung der Stahlindustrie zu einer klimafreundlichen Produktion muss bezahlbarer Wasserstoff in ausreichenden Mengen verfügbar sein. Angesichts des verzögerten Hochlaufs grünen Wasserstoffs drängt die Bundesregierung auf mehr Pragmatismus bei den europäischen Förderkriterien in der Phase des Markthochlaufs. Hierzu gehört auch die Forderung nach mehr Flexibilität bei der Nutzung von Gas statt Wasserstoff in der Stahlproduktion für die im Rahmen der EU-Förderinitiative Important Projects of Common European Interest (IPCEI) geförderten Projekte. Die Bundesregierung wird den rascheren Ausbau des Wasserstoffkernnetzes vorantreiben, damit Anlagen zur Stahlherstellung möglichst schnell und in den vereinbarten Zeitplänen angeschlossen werden.
Darüber hinaus waren sich die Teilnehmer über das hohe Potenzial der Kreislaufwirtschaft für die Stahlbranche einig. Hierfür bedarf es effektiver und innovativer Recyclingstrukturen. Im Rahmen der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie wird die Bundesregierung den Fokus neben dem Umwelt- und Klimaschutz auch auf die Resilienzstärkung durch heimische Produktion legen. Sofern die Versorgung mit Stahlschrott als Rohstoff für die Stahlproduktion gefährdet ist, wird sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass erforderliche Maßnahmen ergriffen werden, damit ausreichend Stahlschrott verfügbar ist.
EU Leitmärkte, EU Präferenz-Regelungen
Die Bundesregierung unterstützt die Schaffung und Förderung europäischer Leitmärkte für klimafreundlichen Stahl. Sie wird die Verordnungsermächtigung im Rahmen des Vergabebeschleunigungsgesetzes nutzen und Anforderungen an die Klimafreundlichkeit bei der Beschaffung, u. a. von Stahl, zeitnah nach Inkrafttreten des Gesetzes in einer Rechtsverordnung vorzugeben. Die Bundesregierung unterstützt auch die Pläne der EU-Kommission zur Etablierung von Leitmärkten im Rahmen des Industrial Accelerator Act, beginnend mit einem Leitmarkt für klimafreundliche Stahlprodukte. Der Fokus könnte dabei auf der staatlichen Infrastruktur, wie zum Beispiel bei öffentlichen Bau- und Infrastrukturvorhaben, u.a. der Bahn und auch der Automobilindustrie liegen. Dabei sollen Resilienz- und Nachhaltigkeitskriterien wie CO2-Emissionsintensität gelten. In der deutsch-französischen Wirtschaftsagenda ist für zentrale und kritische strategische Bereiche der industriellen Produktion, einschließlich der öffentlichen Beschaffung, eine rechtlich tragfähige und zielgerichtete EU-Präferenz-Regelung dargelegt.
Die Bundesregierung setzt sich für die Nutzung des Labels für klimafreundlichen Stahl "Low Emission Steel Standard (LESS)" ein, um neben öffentlichen auch privatwirtschaftliche Leitmarktinitiativen in einer transparenten und bürokratiearmen Weise zu ermöglichen. Auf internationaler Ebene führt die Bundesregierung ihre Führungsrolle im Klimaclub fort, um die internationale Kooperation in der Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie zu verbessern, einheitliche Regeln und Standards für die Grünstahlproduktion zu entwickeln und gemeinsame Leitmärkte zu erschließen. Auch die Erschließung neuer Märkte wie die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie kam zur Sprache. In Zeiten geopolitischer Spannungen sowie Lieferkettenunterbrechungen dürfen sich Deutschland und Europa in kritischen Wirtschaftsbereichen wie dem Sicherheits- und Verteidigungssektor nicht allein auf Importe verlassen. Grundstoffindustrien wie die Stahlproduktion werden so zu einem Pfeiler wirtschaftlicher Resilienz. Die Bundesregierung wird dafür Möglichkeiten zur Anpassung der Vergabekriterien für den Sicherheits- und Verteidigungssektor prüfen.
Mit der Schaffung und Erschließung neuer Märkte geht zugleich die Anforderung an Unternehmen einher, sich flexibel auf neue Herausforderungen einzustellen und zugleich langfristig an der eigenen Wettbewerbsfähigkeit zu arbeiten. Zu einer zukunftsfesten Perspektive gehören insbesondere Investitionen in Standorte, neue Produktionsverfahren und Produkte sowie die Qualifizierung der Beschäftigten.