09/23/2025 | News release | Distributed by Public on 09/23/2025 06:19
Die Vielfalt der Meinungen, die Freiheit der Medien und Wissenschaft geraten zusehends unter Druck. Sie sind der Humus der Demokratie und die Triebfeder für kritisches Denken, Kreativität und Innovation. Wir müssen deutlicher für sie eintreten.
"Fair is foul and foul is fair": Dieser Ausspruch der Hexen in Shakespeares Drama "Macbeth" kommt mir in den Sinn, wenn ich sehe, wie sich weltweit der Kampf um Meinungen und Deutungen immer weiter zuspitzt. Was die einen als gut und richtig ansehen, brandmarken die anderen als schlecht und falsch - und umgekehrt.
Begriffe werden umfunktioniert, Wertvorstellungen ins Gegenteil verkehrt. Affekt triumphiert über Ratio. Ursprünglich inakzeptable Ansichten bekommen allmählich den Charakter des Normalen und Sagbaren. Eine Diskursverschiebung, die mit Hasskommentaren und Beleidigungen bis hin zu Boykott- und Gewaltaufrufen einhergeht und in den Reaktionen auf das Kirk-Attentat in den USA einen vorläufigen Höhepunkt findet.
Diese Entwicklung bereitet mir große Sorgen. Denn der offene Diskurs ist nicht nur der Humus der Demokratie. Sondern auch das Rüstzeug, das wir haben, um den vielen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen. Wenn er nicht mehr stattfindet, dann erstickt auch Kreativität, dann verkümmern Wissenschaft und Innovation, dann werden Gesellschaften dysfunktional.
Das führt zu der Frage, wie offen dieser Diskurs sein darf. Wie gehen wir mit dem Toleranz-Paradoxon um, das der Philosoph Karl Popper vor 80 Jahren beschrieben hat? Dass eine tolerante Gesellschaft es intoleranten Kräften sehenden Auges erlaubt oder ermöglicht, die eigene Toleranz einzuschränken oder abzuschaffen.
Können und sollen der Meinungsfreiheit beziehungsweise dem, was jeder darunter für sich versteht, Grenzen gesetzt werden? Während sie etwa in Deutschland bei Straftatbeständen wie Beleidigung und Volksverhetzung endet, herrscht in den USA ein anderes Rechtsverständnis. Dort sind teilweise auch Äußerungen, die woanders als unwahre Tatsachenbehauptung oder sogar Anstiftung zu Straftaten gelten würden, noch durch die Redefreiheit in der Verfassung geschützt. Ob das zielführend ist für den Zusammenhalt, die Bewältigung der Gegenwart und die Gestaltung der Zukunft, wage ich zu bezweifeln.
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Aber der eigentliche Punkt ist ein anderer und geht viel weiter. Man mag ja noch so radikal und dogmatisch die eigene Position vertreten und jede andere diffamieren dürfen. Auch mit dem Argument, die eigene Meinung werde unterdrückt. Aber man sollte dann auch allen anderen das Gleiche zubilligen. Getreu dem Voltaire in den Mund gelegten Bonmot: "Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen."
Seit der Aufklärung wurde in Sachen Toleranz und Meinungsfreiheit mühsam viel erreicht. Doch der große Philosoph wäre sicher entsetzt, wenn er sähe, welche Rückschritte wir gerade machen. Zu beobachten sind - im internationalen Vergleich noch recht harmlose - Vorgänge wie jetzt in Deutschland die Abberufung der TV-Moderatorin Julia Ruhs durch den NDR - nachdem man sie kurz zuvor eigens angeheuert hatte, um eine "konservative" Perspektive ins öffentlich-rechtliche Mediensystem zu bringen.
Gleichzeitig findet Cancel Culture im richtig großen Stil statt: Kampagnen und juristische Feldzüge gegen die Medienlandschaft an sich. Wie der Fall Jimmy Kimmel zeigt, momentan leider gerade in dem Land, das bislang als Hort der Demokratie galt. Die USA sind im "World Press Freedom Index" von Reporter ohne Grenzen dieses Jahr auf Platz 57 gefallen, ein historischer Tiefstand. Und auch insgesamt ist es um die Pressefreiheit schlecht bestellt - sie wird jetzt zum ersten Mal in der Geschichte des Index als "schwierig" eingestuft.
Um das Maß voll zu machen, ist in den vergangenen zehn Jahren auch die Freiheit der Wissenschaft weltweit deutlich zurückgegangen. 2025 verzeichneten insgesamt 34 Länder einen statistischen und substanziellen Rückgang der akademischen Freiheit im Vergleich zu 2015, wie aus dem Academic Freedom Index hervorgeht.
Meinung, Medien, Forschung: Die Fundamente der Demokratie sind gefährlich unter Druck. Aber demokratische Gesellschaften brauchen eine Vielzahl von Stimmen, Perspektiven und Diskursräumen.
Das muss auch die Wirtschaft sehen und klar benennen. Auch sie lebt von kritischem Denken. Von Vielfalt und Offenheit, von Respekt, Vertrauen und Zusammenarbeit als Nährboden für Innovationen, die Wachstum und Wohlstand sichern.
Unternehmen können und sollten Fakten vermitteln, Orientierung geben, Räume für Dialog schaffen. Wir bei Covestro unterstützen zum Beispiel das Europäische Jugendparlament, wo wir dieses Jahr als Pate für die Themen Kreislaufgesellschaft und Innovation/Wissensgesellschaft fungieren.
Dialog, Partizipation und Vertrauen - wie wichtig das ist, hat kürzlich UNO-Generalsekretär Antonio Guterres noch einmal anlässlich des Internationalen Tags der Demokratie hervorgehoben. Machen wir uns an jedem einzelnen Tag klar: Demokratie und Toleranz sind keine Selbstverständlichkeiten. Sie sind ein gemeinsames Projekt, das wir gestalten und schützen müssen.